July 27, 2024

An einem symbolträchtigen Ort: Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew bei der Stimmabgabe in Khankendi.

Ilham Alijew war extra nach Khankendi gereist, um dort seine Stimme abzugeben. Pressefotos zeigen den aserbaidschanischen Präsidenten vor der Wahlurne aus hellem Plastik, sie steht an einem symbolträchtigen Ort. Denn das Gebäude war vergangenes Jahr noch Sitz eines anderen Präsidenten gewesen, desjenigen der selbst ernannten Republik «Arzach», so nennen die Armenier die Konfliktregion Bergkarabach.

Doch Arzach hörte auf zu existieren, als Alijews Truppen die Region im September 2023 vollständig einnahmen. Sein grösser Triumph in 20 Jahren an der Macht.

Für die Wahl war Alijew also in die frisch zurückeroberte Hauptstadt Khankendi gekommen, die die Armenier Stepanakert nannten und die derzeit eher einer Geisterstadt gleicht. Die meisten armenischen Einwohner sind geflohen, noch nicht viele Aserbaidschaner eingezogen. Die Präsidentenfamilie aber liess sich nach der Stimmabgabe gut gelaunt auf der menschenleeren Strasse vor dem Palast ablichten.

Weder fair noch frei

Am Donnerstagmorgen wurden dann erste Zahlen veröffentlicht: Demnach soll Aljiew deutlich mehr als 90 Prozent der Stimmen erhalten haben, mehr als bei den letzten vier Wahlen, die er gewann. Keine dieser Abstimmungen hatten internationale Beobachter als fair oder frei bewertet, auch jetzt gibt es bereits erste Berichte von Manipulationen, gefälschten Stimmzetteln, Druck auf Wähler. Eine echte Opposition gab es ohnehin nicht, Alijews Sieg war gesetzt.

Die einzige Überraschung war der frühe Termin, der Präsident hatte die Wahl um mehr als ein Jahr vorgezogen. Mit der vollständigen Kontrolle Aserbaidschans über die Region Bergkarabach beginne eine «neue Ära», so hatte Alijew das begründet.

Ölreichtum und Korruption

Bereits 2020 hatte Baku in einem wochenlangen Krieg grössere Gebiete der Region zurückerobert, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, in der aber vor allem Armenier lebten. Vergangenen Herbst übernahm Baku dann auch die Kontrolle über die Hauptstadt der Region. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans würden nun Wahlen im ganzen Land abgehalten, sagte Alijew im Januar in einem TV-Interview.

Anhänger von Ilham Alijew in der Hauptstadt Baku.

Der Zeitpunkt könnte für ihn besser nicht sein. Die Wahl ist für ihn eine Gelegenheit, seine Macht für weitere sieben Jahre zu sichern, solange die Freude über den Triumph die sozialen Probleme der Aserbaidschaner überstrahlt. Der Ölreichtum des Landes ist ungleich verteilt, ein grosser Teil der Bevölkerung lebt ärmlich, wird nicht fair bezahlt, leidet an den Folgen jahrzehntelanger Korruption.

Für Aljiew kommt der Krieg, den Russland in der Ukraine führt, als Unsicherheit hinzu. Das Verhältnis zu Moskau ist zwar gut, doch noch besser für Alijew ist ein abgelenkter Kreml. Bergkarabach konnte er den Armeniern auch deswegen abnehmen, weil deren Schutzmacht Russland sich nicht einmischte.

Gegenkandidaten loben Alijew

Für Alijew beginnt nun seine fünfte Amtszeit, eine zeitliche Begrenzung seiner Herrschaft hat er längst per Verfassungsänderung abgeschafft. Alle sechs Kandidaten, die formal gegen ihn antraten, hätten den Amtsinhaber in der Vergangenheit öffentlich unterstützt, schrieben die Wahlbeobachter des Office for Democratic Institutions and Human Rights (Odihr) der OSZE in ihren Bericht vor der Abstimmung. In TV-Auftritten überboten sich die sogenannten Gegenkandidaten praktisch dabei, Alijew zu loben.

Die unabhängige Opposition dagegen, angeführt von der Volksfront Aserbaidschans und der Gleichheitspartei, boykottierte die Wahl, so wie jede Abstimmung in den vergangenen zehn Jahren. Ihnen sei eine Rolle in einem Theaterstück mit dem Titel «Wahl» angeboten worden, schrieb der Volksfront-Chef Ali Karimli auf Facebook: «Wir wollen bei dieser Aufführung nicht mitspielen.» Jeder solle sehen, dass sie nichts mit fairem Wettbewerb zu tun habe.

Repression gegen Oppositionelle und Journalisten

Aserbaidschan ist in den vergangenen Jahren noch repressiver geworden, neue Gesetze haben die Freiheit der Presse und den Spielraum für unabhängige Parteien weiter eingeschränkt. Erst im Sommer 2023 liess Alijew mit dem Ökonomen Gubad Ibadoghlu einen seiner prominentesten Kritiker inhaftieren. Und allein seit November nahmen die Behörden mehr als ein Dutzend Oppositionelle und Journalisten fest, darunter mehrere Mitarbeiter des investigativen Mediums Abzas, das auch über Korruption innerhalb des Machtapparats berichtet.

Der Dauerkonflikt um Bergkarabach war für Alijew stets ein Mittel, die Menschen für seine Politik zu mobilisieren. Nun ist die Region zurück unter aserbaidschanischer Kontrolle, es soll ein Friedensabkommen mit Armenien geben.

Das Regime in Baku kann den Konflikt nicht mehr als Vorwand für verzögerte Reformen anführen oder als Rechtfertigung dafür, dass es andere Meinungen unterdrückt. Alijew wird sich eine neue Taktik überlegen müssen. Aber bis zur nächsten Wahl hat er sieben Jahre Zeit.

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@SilkeBigalke

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