Shahak Shapiras Grossvater wurde an den Olympischen Spielen 1972 von palästinensischen Terroristen ermordet. Den Krieg möchte der gebürtige Israeli nicht einfach ignorieren.
Nur zwei Tage nach dem Angriff der Hamas steht Shahak Shapira auf einer Bühne und macht Witze darüber, was gerade geschehen ist. Er macht sich darüber lustig, dass Leute mancherorts Baklava verteilten, um die Attacke zu feiern – «Wisst ihr, wie viel Willenskraft es mich gekostet hat, die Baklava abzulehnen? Ich liebe Baklava!» Oder über Araber auf Paraglidern – «Das ist das Weisseste, was man machen kann.»
Dabei befindet sich der deutsch-israelische Satiriker ausgerechnet in einem Comedy-Club in Berlin, der von einem gebürtigen Palästinenser betrieben wird. Das sei seine einzige Sicherheitsvorkehrung für diesen Abend, sagt Shapira zum Publikum. Allerdings seien die Palästinenser «ja besonders schlecht darin, ihr Territorium zu verteidigen». Während der Rest der Welt angesichts der Gräueltaten in einer Schockstarre zu verharren scheint, schafft es der 35-Jährige mit solchen Gags, das Publikum zum Lachen zu bringen.
Sein Auftritt im Comedy-Club sei schon lange geplant gewesen, sagt er zur «Zeit». Nach dem Angriff habe er dann vor den Fragen gestanden: Sage ich den Auftritt ab? Oder ziehe ich es durch? Shapira, der im Westjordanland aufgewachsen ist und im Alter von 14 Jahren nach Deutschland auswanderte, entscheidet sich für Zweiteres. Und mehr noch: Er will das Geschehene nicht einfach ignorieren.
«Wenn man eine solche Schwere erlebt, wie wir alle sie in den letzten Tagen erlebt haben, dann muss man das ansprechen.» Also macht er in der ersten Hälfte der Show sein Programm, das er sowieso geplant hatte. Und improvisiert in der zweiten über die Situation im Nahen Osten – «Baklava aus Gaza» nennt er sein kurzfristig zusammengestelltes Comedy-Special, das man auch auf Youtube schauen kann.
Witze als Selbstermächtigung
«Es tut gerade gut, ein Deutscher zu sein, nicht?», fragt der Comedian darin. «Ich bin mir sicher, dass sich gerade viele Deutsche denken: ‹Endlich sind wir mal nicht schuld.›» Mit seinem Gekicher steckt er auch sein Publikum an. Doch Shapira erntet nicht immer nur Lacher, manchmal ist im Raum ein gequältes Aufstöhnen zu hören. «Wir müssen lachen!», ruft der Comedian in solchen Momenten. «Ich habe es an Stellen gerufen, wo ich das Gefühl hatte, dass manche lachen wollen, aber sich zu viele Gedanken machen, ob das okay ist», sagt Shapira zur «Zeit».
«Ich mache Witze trotz der Tragödie. Weil es Macht verleiht.»
Auf die Frage, wieso er Witze über so eine Tragödie mache, entgegnet Shapira: «Nein, ich mache Witze trotz der Tragödie. Weil es Macht verleiht.» Man fühle sich klein und schwach in einer Situation wie der aktuellen. Humor helfe, damit umzugehen. «Das muss nicht jeder so machen», sagt Shapira im Deutschlandfunk. «Aber viele Menschen funktionieren so.»
Das pflichtet auch Issa Khatib bei. Der palästinensische Betreiber des Comedy-Clubs Kara Kas findet das eine Form von Therapie. In seinem Club seien auch schon Leute aufgetreten, die aus Russland abgehauen seien. Oder Ukrainer, die vor dem Krieg geflohen sind. «Die machen alle Witze über sehr unangenehme Dinge. Das ist ihr Material. Es hilft ihnen, darüber Witze zu machen. Man merkt das sofort», sagt er zur «Zeit».
Shapira sieht darin auch eine Selbstermächtigung. «Sobald ich es schaffe, eine schlimme Sache, die mir passiert ist, auf die Bühne zu bringen, habe ich gewonnen», sagt er zur «Zeit». Dass viele Leute seine Witze über Terror geschmacklos finden könnten, versteht Shapira. «Aber ich schiebe auch niemandem Jokes ins Gesicht, sondern biete sie Leuten an, die, wie ich, in der Tragik nach Humor suchen.» Das sei sein Recht – denn auch Shapiras Familiengeschichte ist nicht ohne Tragik.
Sein Grossvater väterlicherseits wurde von Terroristen umgebracht. Amitzur Shapira war Trainer des israelischen Leichtathletik-Teams, das 1972 bei den Olympischen Spielen in München von der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September als Geiseln genommen und ermordet wurde. Shapiras Grossvater mütterlicherseits überlebte als einziges Mitglied seiner Familie den Holocaust.
Ein körperlicher Angriff machte ihn zum Comedian
Dass der Satiriker in traumatischen Situationen zu Humor neigt, hat aber einen anderen Auslöser. In der Neujahrsnacht 2014 wird er in der U-Bahn von arabischen Männern körperlich angegriffen. Er hatte sie mit dem Telefon gefilmt, als sie antisemitische Lieder sangen. Medien weltweit berichten über den Vorfall und wollen Shapira für eine «islamophobe Kampagne missbrauchen», sagt er zur «Zeit». Der 35-Jährige will seine Stimme wiederholen – durch Witze.
In «Baklavas aus Gaza» geht es dem gebürtigen Israeli aber nicht nur darum, Jokes über den Krieg zu reissen. Er tauscht sich mit dem Publikum aus und beantwortet Fragen zum Nahost-Konflikt. Etwa wie man ihn denn lösen könnte. Dafür hat der Satiriker einen Friedensplan in der Tasche. Natürlich scherzt Shapira auch dann erst mal und schlägt vor, dass man Jerusalem platt machen könnte – «Nach dem Motto: Wenn wir es nicht haben können, soll es niemand haben.»
Dann wird der Comedian aber wieder sehr ernsthaft. Er plädiert dafür, dass die UNO Blauhelme schicken sollte, anstatt Israel das Problem mit der Hamas zu überlassen. Er wünscht sich Demokratie und Koexistenz. Das sei machbar, sagt Shapira. Doch einige Menschen hätten mehr Interesse daran, den Konflikt weiterlaufen zu lassen – aus finanziellen und politischen Gründen.
Eine Woche nach seinem improvisierten Auftritt wiederholt Shapira seine Show auf Englisch. Dieses Mal haben Israelis und Palästinenserinnen freien Eintritt. Und brechen gemeinsam in Gelächter aus.