July 27, 2024

Ukrainische Soldaten in der Nähe von Awdijiwka. Sie versuchen derzeit, die russischen Vorstösse zu stoppen.

Es war eine geschäftige Woche für ukrainische Unternehmen, die Verteidigungsstellungen bauen: Allein vom 24. Februar bis zum 2. März schlossen ukrainische Behörden fast 200 Verträge zum Bau von Verteidigungsanlagen ab, wie der Infodienst «Naschi Groschi» berichtete.

Die anstehende Bautätigkeit kommt freilich sehr spät – nach Meinung etlicher Fachleute zumindest in Teilen viel zu spät. Etwa bei Awdijiwka, der im Februar an Russland gefallenen Industrievorstadt westlich von Donezk. Dort sind russische Einheiten nach dem überstürzten Abzug der Ukrainer am 17. Februar in kurzer Zeit etliche Kilometer weiter vorgerückt und haben westlich Awdijiwkas liegende Dörfer erobert.

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Der rasche Vormarsch, der vom englischen Militärgeheimdienst bestätigt wurde, gelang offenbar vor allem auch, weil die Ukraine westlich von Awdijiwka keine nennenswerten Schützengräben, Bunker, Panzersperren und andere Einrichtungen gebaut hatte – so wie es die Russen in den von ihnen besetzten Gebieten der Südukraine taten und so die ukrainische Gegenoffensive scheitern liessen.

Wenn das Gerät fehlt, nehmen die Soldaten einen Spaten

Nach dem Fall von Awdijiwka beschrieb Juri Butusow vom ukrainischen Infodienst Censor.net ukrainische Versäumnisse der vergangenen Jahre und Monate. Schon Anfang November 2023 hatte Butusow Aufklärungsbilder veröffentlicht, die zeigten, dass die Russen sofort nach ihrem eigenen Vorrücken auf Awdijiwka hinter ihren eigenen Linien mit schwerem Gerät umfangreiche Verteidigungslinien für den Fall eines eigenen Rückzuges aushoben.

Auf ukrainischer Seite hingegen sei die Militärverwaltung untätig geblieben, Pioniereinheiten des Militärs seien ebenso unterversorgt wie Transporteinheiten. «Die meisten Verteidigungspositionen werden von Soldaten mit einem Spaten aus der Erde gegraben.»

Kommandanten hätten die Mängel bei Präsident Selenski bei zwei Frontbesuchen – etwa am 29. Dezember 2023 – reklamiert; passiert sei praktisch nichts. Bis heute gebe es selbst jenseits Awdijiwkas keine ausgebauten Verteidigungslinien, stellte Butosow am 19. Februar fest.

Ausnahmen gibt es, aber offenbar nur an wenigen Stellen: Einem Korrespondenten von «Le Monde» demonstrierte ein ukrainischer Pionieroffizier Ende Februar den Einsatz des noch aus Sowjetzeiten stammenden Pionierbaggerpanzers MDK-3 : Dieser kann in wenigen Stunden tiefe und gut drei Meter breite Gräben ausheben, die Panzern und anderen Fahrzeugen die Weiterfahrt erschweren oder unmöglich machen. Freilich besitzt die Ukraine anders als die Russen nur wenige MDK-3, die zudem oft Pannen haben.

Arbeiter für die Front werden händeringend gesucht

Auch hätten es die ukrainischen Streitkräfte versäumt, weitere Verteidigungslinien etwa aus Beton-Panzersperren aufzubauen – von unterirdischen Bunkern und getarnten Artilleriestellungen ganz zu schweigen, berichtet die «New York Times» nach Auswertung von Satellitenbildern.

Die Ukrainer begannen offenbar erst Ende November 2023 mit dem systematischen Bau von Verteidigungsstellungen. Weit gekommen sind sie indes offenbar nicht – auch wegen eines gravierenden Mangels an Geld, Baumaschinen und -material sowie Arbeitern.

Mitte Januar suchte etwa die Militärgouverneurin der in der Westukraine liegenden Region Iwano-Frankiwsk händeringend 300 Arbeiter, die bereit sein sollten, in der knapp 700 Kilometer entfernten Ostukraine Verteidigungsstellungen zu errichten. Der Bau nahe der Front ist freilich wegen der Lufthoheit von russischen Kamikazedrohnen und Gleitbomben extrem schwierig.

Lage an der Front ist «bedrohlich»

Und so sind ukrainische Stellungen auch weiter an vielen weiteren kritischen Stellen kaum befestigt. Censor-Chefredaktor Butusow etwa rief vor einigen Tagen dazu auf, bei der von russischen Truppen bedrohten, wichtigen Stadt Kupjansk «unverzüglich alle Gelegenheiten zu nutzen, um einige Verteidigungslinien zu bauen, bevor der Feind der Stadt näher kommt».

Auch die wichtige Stadt Tschassiw Jar westlich des bereits russisch besetzten Bachmut ist bedroht, dort rücken russische Einheiten von Osten, Süden und Norden auf die Stadt vor. Butusow weist auf etliche weitere Stellen hin, an denen russische Einheiten vorrückten. Die Lage an der Front sei «kritisch» und «bedrohlich».

Admiral Anthony Radakin, der militärische Befehlshaber der britischen Streitkräfte, hat vor einigen Tagen die Einschätzung abgegeben, die kritische Lage der Ukrainer werde noch mindestens mehrere Monate anhalten. Erst dann würden vor allem aus den USA massive Lieferungen eintreffen – sofern das Repräsentantenhaus sie freigibt. Nicht gelöst ist damit freilich das andauernde Problem des massiven Mangels an neuen Soldaten für die ukrainische Armee.

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