Gil Ofarim behauptet, er habe in einem deutschen Hotel nicht einchecken können, weil er Jude sei. Ab heute Dienstag steht der 41-Jährige wegen Verleumdung vor Gericht.
In einer Zeit, in der Juden in Deutschland wieder Angst haben, ihre Kinder zur Schule zu schicken, die Kippa zu tragen oder zur Synagoge zu gehen, fühlt sich ein Prozess wie dieser besonders schmerzlich an. Dem jüdischen Sänger und Schauspieler Gil Ofarim, 41 Jahre alt, in München aufgewachsen, Sohn des verstorbenen Musikers Abi Ofarim, wird vorgeworfen, er habe einen antisemitischen Vorfall erfunden, in dem ein Davidstern die Hauptrolle spielt.
Am Abend des 4. Oktober 2021 hatte Ofarim vor einem Nobelhotel in Leipzig auf dem Bordstein sitzend und sichtlich erschüttert ein Handyvideo von sich aufgenommen, in dem er sagte, er sei in der Hotellobby gerade als Jude diskriminiert worden. Er könne nur einchecken, wenn er den grossen Davidstern, den er stets am Hals trage, einpacke, sei ihm gesagt worden. «Deutschland 2021», war Ofarims Kommentar.
Als er das Video am nächsten Morgen auf den sozialen Medien hochlud, ging dieses innert Stunden um die Welt. Millionen sahen es und waren entsetzt, die deutsche und die Weltpresse berichteten darüber, vor dem Hotel demonstrierten Hunderte gegen Judenhass. Der damalige deutsche Aussenminister Heiko Maas nannte den Fall ein unerträgliches Beispiel für alltäglichen Antisemitismus im Land.
Als die Justiz Ermittlungen aufnahm und Medien zu recherchieren begannen, kamen aber schnell Zweifel an Ofarims Behauptung auf. Zeugen aus dem Foyer des Hotels widersprachen seiner Schilderung, der Hotelmitarbeiter, den der Sänger beschuldigte, zeigte diesen wegen Verleumdung an.
Nicht weniger als vier Anklagepunkte
Zwei Jahre nach dem Vorfall, nach ungewöhnlich aufwendigen Untersuchungen, beginnt in Leipzig am Dienstag der Prozess, der auf zehn Verhandlungstage angesetzt ist. Angeklagt ist nicht der Mann von der Réception, sondern Ofarim: wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung, der Verleumdung, des Betrugs und der falschen Versicherung an Eides statt.
Unbestritten ist, dass Ofarim damals mit dem Hotelmitarbeiter in Streit geriet, offenbar, weil das Einchecken wegen einer Computerpanne ungewöhnlich lange dauerte und Stammgäste ihre Zimmerkarten früher ausgehändigt erhielten als er selbst. Dass es in der Folge aber zu einem Streit um den Davidstern gekommen sei, kann ausser Ofarim niemand bezeugen.
Laut Zeugen soll Ofarim dem Hotelmitarbeiter gedroht haben, er werde gleich ein Video aufnehmen, das viral gehen werde.
Auf den Überwachungskameras sei nicht einmal zu sehen, so berichtet die «Zeit» aus der Anklageschrift, dass der Sänger sein «Markenzeichen» offen getragen habe. 31 von 32 befragten Zeugen stützten diese Einschätzung (und der einzelne, der den Stern gesehen haben will, hat sich nach Ansicht der Ermittler ziemlich sicher getäuscht). Von den mindestens fünf Zeugen wiederum, die den Wortstreit an der Réception mitbekamen, stützt kein einziger Ofarims Behauptung.
Warum der Sänger gelogen haben soll, ist den Ermittlern nicht ganz klar. Wollte er sich mit dem Video ins mediale Rampenlicht rücken? War er gekränkt und wollte sich an dem Hotelmitarbeiter rächen? Für letztere Vermutung spricht der Umstand, dass Ofarim laut Zeugen dem Hotelmitarbeiter gedroht habe, er werde gleich ein Video aufnehmen, das viral gehen werde. «Das werden Sie noch bereuen», habe er diesem am Ende ihres Streits gesagt, bevor er sich vor dem Hotel aufs Trottoir setzte.
Mit Antisemitismus lebt er schon lange
Gewiss ist, dass Ofarim sich in Deutschland antisemitische Sprüche und Beleidigungen anhören muss, seit er ein Kind war. Der «Welt am Sonntag» erzählte er jetzt, wie ihn im Gymnasium ein Schüler gefragt habe, ob er Jude sei, und auf sein Bejahen geantwortet habe: «Du weisst schon, dass Dachau in der Nähe ist», das frühere Konzentrationslager. «Da gehörst du hin.» Diese und viele andere Drohungen hätten für die Antisemiten so gut wie nie Folgen gehabt.
Im vergangenen Sommer sei er als Jude bewusstlos geschlagen worden. Jedes Mal, wenn er sich öffentlich äussere, erhalte er danach antisemitische Nachrichten. Laut «Zeit» hat die Münchner Staatsanwaltschaft deswegen bereits 130 Verfahren eröffnet. Im Prozess gegen ihn selbst wird ihm das kaum helfen.