Die Französinnen klingen im Maskulinum mit, sagt ihr Präsident, es sei schliesslich auch Neutrum. Im neuen Museum für die französische Sprache geisselt er den Zeitgeist.
Was wohl Molière jetzt sagen würde? Wenn die Franzosen von ihrer Sprache reden, der vielleicht rundesten Sprache dieser Welt, die sich einem sanft ins Ohr legt, als wollte sie es sich da bequem machen, sagen sie: la langue de Molière, die Sprache Molières. Die Italiener haben Dante, die Deutschsprechenden Goethe, die Angelsachsen Shakespeare. Und die Franzosen haben Molière, als ewigen Souffleur.
Es wäre also ganz hübsch, zu wissen, was der grosse Dichter, der bürgerlich Jean-Baptiste Poquelin hiess, vom Gendern hielte, von der inklusiven Sprache. Etwa vom neuen Pronomen «iel», einer Verschränkung des männlichen «il» und des weiblichen «elle», das als Option herumschwirrt. Oder von der Verschmelzung weiblicher und männlicher Endungen in einem einzigen Wort.
Könnte er zum Beispiel mit der Kreation «lecteurices» etwas anfangen, wo die «lecteurs», die Leser, und die «lectrices», die Leserinnen, mal schnell zusammenwachsen? Was ist mit den halbhohen Pünktchen in den Wörtern, den Bindestrichen und den Schrägstrichen, mit denen die ausgeblendete weibliche Form hervorgehoben werden kann, was man in der Praxis aber kaum sieht – könnte er damit leben?
Oder hielte es Molière mit Emmanuel Macron, der davon nichts hält, aber wirklich gar nichts, wie die Franzosen seit seiner Grundsatzrede zur französischen Sprache diese Woche im Hof des Château Villers-Cotterêts wissen. Sehr definitiv, sehr apodiktisch und in seiner Bestimmtheit auch sehr, sehr retro.
Der Ort ist gut gewählt
Es war kalt, plötzlich Herbst. Frankreichs Präsident trug einen dunkelblauen Mantel mit steifem Kragen, wie in eine Rüstung gepresst wirkte Macron darin. Er hätte ja schon viel früher vorbeikommen wollen, um das eben erst teuer renovierte Schloss aus der Renaissance einzuweihen, draussen im Département Aisne, fünfzig Minuten entfernt von Paris, mit dem Regionalzug.
Doch dann kam immer etwas dazwischen. Sechs Jahre hatte der Umbau gedauert. Der frühere Jagdsitz der Königsfamilie Valois war schrecklich heruntergekommen, zuletzt war er ein Altersheim gewesen. Nun ist das Schloss ein Museum der französischen Sprache, auch wenn es nicht so heisst. Sie haben es «Cité Internationale de la Langue Française» genannt.
Der Ort dafür ist gut gewählt. König Franz I. hat dort im Jahr 1539 in einer berühmten Verordnung das Primat der französischen Sprache über das Lateinische und das Patois, die Mundarten, dekretiert. Wenigstens für die Gesetze, damit sie von allen verstanden würden.
Ein Museum? Wo Sprache doch lebt, zerzaust von Moden. Und von Kulturkämpfen.
Der Mythos geht aber weit darüber hinaus: Das Edikt gilt als Gründungscharta der Landessprache, als historischer Moment. Es heisst, François Ier habe es zwischen zwei Jagdpartien erlassen. Das Schloss ist prädestiniert.
Das Nachrichtenmagazin «Le Point» aber fragt: «Ist es nicht etwas traurig, die Sprache in ein Museum zu sperren? Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass unsere Sprache inzwischen Geschichte ist?» Wo Sprache doch lebt, angesteckt von Einflüssen von anderswo, bereichert von mehr oder weniger hübschen Erfindungen der Jugend, geschändet auch von Neologismen, auf die man gut verzichten könnte. Zerzaust von Moden. Und von Kulturkämpfen.
Im Hof des Schlosses, das die Medien nun «Château Macron» nennen, weil es dann sicher mal das Prestigeobjekt seiner Präsidentschaft sein wird, sein baulicher Nachlass, hielt der Präsident eine Grundsatzrede zur Bedeutung der Sprache, dieser Schmiede der Nation, der Freiheiten, des Universalismus, wie er es beschrieb.
Etwa 320 Millionen Menschen auf der Welt sprechen Französisch, in fast allen Ecken der Welt gibt es Völker, die es als offizielle Sprache neben anderen führen, vor allem natürlich in den ehemaligen Kolonien in Nord- und Westafrika. Doch nicht überall spricht man sie gleich gern, da und dort wird sie durchs Englische verdrängt, das ist politisch und kulturell weniger belastet.
In Frankreich geht deshalb auch schon lange die Rede des Niedergangs der französischen Sprache und der Frankofonie. Wahrscheinlich ist das Lamento übertrieben, so präzise lässt sich der Zustand einer «langue monde», einer Weltsprache, ja nicht definieren. Aber es ging ihr bestimmt schon besser.
«Die Kraft der Satzlehre liegt darin, dass sie sich dem Zeitgeist nicht beugt.»
Alle warteten auf die Passage zum Gendern, einem der grossen Aufregerthemen dieser Zeit. Auch in Frankreich, seit etwas mehr als zehn Jahren. Da stand Macron also mit steifem Kragen unter einem Zeltdach, weil man Regen fürchten musste, und sagte: «Die Kraft der Satzlehre liegt darin, dass sie sich dem Zeitgeist nicht beugt.» In der französischen Sprache sei das Maskulinum auch Neutrum. «Wir brauchen keine Punkte oder Striche in der Mitte der Wörter.»
Das generische Maskulinum soll also reichen, auch für die Frauen, es transportierte das Weibliche gleich mit. Der Zeitgeist, um Macron zu paraphrasieren, wird vorbeiziehen wie ein lauer Hauch, wie eine lästige Mode. Unterdessen ärgern sich aufgeschlossenere Gemüter, die unabhängige Gleichstellungsbehörde und Feministinnen und Feministen über so wenig Sensibilität.
Die Crème de la Crème nickt in der vordersten Reihe
In der vordersten Reihe im Schlosshof sassen die Koryphäen des Fachs, die er als «crème de la crème» begrüsste. Der neue Sekretär der Académie Française, Amin Maalouf, war dabei, dazu einige weitere Mitglieder der Oberaufsichtsbehörde des Französischen: Sie lächelten, gebauchpinselt. Für die Académie Française, ein Hort der Orthodoxie, verstellt gegenderte Sprache das Geschriebene, sie mache es unleserlich. Sie sei eine «tödliche Gefahr».
Es wird eben schnell dramatisch in Frankreich, wenn es um Sprache geht. Macron gibt den Lebensretter. Als er dem Zeitgeist abgesagt hatte, gab es einen langen Zwischenapplaus. Es war der einzige während der gesamten Rede.
An Frauen mangelte es in Macrons Aufzählung, wahrscheinlich sollten sie einfach mitklingen im neutralen Maskulinum.
Kaum hatte er geschlossen, stimmten die Senatorinnen und Senatoren der Republik in Paris mit grosser Mehrheit einer Gesetzesvorlage aus der bürgerlichen Partei Les Républicains zu, die das Verwenden inklusiver Sprache für eine Reihe von Texten untersagt: etwa in Arbeitsverträgen, Gebrauchsanleitungen, administrativen und juristischen Schriften. In der kleineren Kammer des französischen Parlaments sind die Konservativen in der Mehrheit.
Ob die Vorlage so auch durch die Assemblée Nationale kommt, ist fraglich. Ein ähnlicher Vorstoss des Rassemblement National, der extrem rechten Partei von Marine Le Pen, blieb in der zuständigen Kommission hängen und wurde verworfen.
Aber der Präsident hat sich nun geäussert. Nicht mit einem Edikt, die Zeiten sind vorbei. Aber eben doch mit finaler Überzeugung. Französisch, sagte Macron, sei die Sprache von Racine, Rabelais, Mallarmé, von Proust, Corneille, Césaire, von Baudelaire, Balzac, Flaubert. Nur an Frauen mangelte es in der Aufzählung, wahrscheinlich sollten sie einfach mitklingen im neutralen Maskulinum. Und Molière, der kam auch zu kurz.