July 27, 2024

Das Ende seiner Karriere in der Türkei: Der israelische Fussballstar Jehezkel hält seinen Verband in die Kamera. Darauf steht «100 days, 7.10.». Daneben ein Davidstern.

Ohne Sagiv Jehezkel hätte Antalyaspor am Sonntag verloren. Der Fussballclub aus der türkischen Süper Lig lag gegen die Gäste aus Trabzon hinten, 67 Minuten lang, bis Jehezkel der Ausgleich gelang. Der Israeli jubelte, dabei zeigte er auf die Bandage an seinem linken Handgelenk. Darauf stand eine Botschaft: «100 days, 7.10.». Daneben ein Davidstern. Jehezkel erinnerte damit daran, dass seit dem Überfall der Hamas auf Israel 100 Tage vergangen waren. 

Das Spiel endete unentschieden 1:1, dank Jehezkel – aber alles Sportliche war der Vereinsführung von Antalyaspor nachher denkbar egal. Er werde «solches Verhalten nicht dulden», liess der Präsident des Clubs wissen. Man werde Jehezkel suspendieren und seinen Vertrag auflösen, so wichtig er für die Mannschaft auch sei. Die «nationalen Werte» stünden über allem.

Als «israelischer Hund» beschimpft

Am selben Abend reagierte die Politik. Aus Ankara meldete sich ein Berater von Präsident Erdogan und nannte den Fussballspieler einen «israelischen Hund», gegen den man sofort handeln müsse, sonst werde «die Empörung gross sein». Justizminister Yilmaz Tunç schrieb auf der Plattform X von einer «hässlichen Aktion», die Staatsanwaltschaft habe schon ein Verfahren gegen Jehezkel eingeleitet – wegen «öffentlicher Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit», sprich Volksverhetzung.

Noch in der Nacht, wenige Stunden nach seinem Tor, wurde Jehezkel festgenommen. Und der Sonntag war noch nicht vorbei, da legte der Sponsor von Antalyaspor, ein Baukonzern, nach. Jehezkel müsse abgeschoben werden, forderte das Unternehmen. Ohnehin unwahrscheinlich, dass er, angesichts der Hasstiraden gegen ihn, in der Türkei bleiben könnte. Noch unwahrscheinlicher, dass er dies selbst wollte. Laut dem israelischen Sender Channel 12 versucht die Regierung in Jerusalem, ihren Staatsbürger nach Hause zu holen.

Sagiv Jehezkel ist in einen Furor geraten, der in der Türkei jedem droht, den die Öffentlichkeit mit Israel in Verbindung bringt, aus welchen Gründen auch immer. Darum dürfte es auch dem Sponsor von Antalyaspor gegangen sein, als er forderte, den eben noch gefeierten Fussballstar des Landes zu verweisen. Bloss keinen Zweifel daran lassen, wo man steht: solidarisch mit den Palästinensern. Gegen Israel. 

Hamas-Massaker spielt keine Rolle mehr

Die Stimmung in der Türkei ist entschieden antiisraelisch, und das immer heftiger. Das Land, das sich sonst auf wenig einigen kann, schaut über die politischen Lagergrenzen hinweg schockiert auf die Lage im Gazastreifen. In Istanbul versammelten sich am Neujahrstag Zehntausende zu einer Demo gegen Israel, unter den Organisatoren war Bilal Erdogan, der Sohn des Staatspräsidenten. 

So kommt es, dass ein Fussballspieler, der an die Opfer des 7. Oktober erinnert, beschuldigt wird, er feiere das «Massaker» der israelischen Armee in Gaza. Massaker, das ist in türkischen Medien inzwischen das gängige Wort für Israels Krieg gegen die Hamas.

Was die Terrororganisation damals, vor 100 Tagen, tat, spielt in der Türkei schon lange keine Rolle mehr. Alleiniges Thema sind die palästinensischen Toten, die Schuld Israels und, wie Recep Tayyip Erdogan immer wieder sagt: die Mitschuld des Westens. 

Erdogan hat den israelischen Premierminister Netanyahu mit Hitler verglichen und ihn den «Schlächter von Gaza» genannt. Er hat die diplomatische Zurückhaltung, die er nach dem Hamas-Überfall pflegte, abgelegt. Heute lässt der Präsident seinem Ärger rhetorisch freien Lauf, auch, weil er weiss, dass er damit für die grosse Mehrheit nicht nur in der Türkei spricht – sondern auch in vielen Ländern der Welt ausserhalb des Westens. Deren Stimme will Erdogan sein. Zuletzt unterstützte die Türkei auch die südafrikanische Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Ein Thema für Erdogans Wahlkampf

Innenpolitisch geht es Erdogan darum, die Agenda zu beherrschen. Vor den wichtigen Kommunalwahlen am 31. März will er die Themen setzen, der Nahostkonflikt kommt ihm dabei entgegen. Ebenso wie die jüngsten Angriffe der kurdischen PKK-Miliz, bei denen gerade am Freitag neun türkische Soldaten starben.

Mit Themen wie diesen kann Erdogan das politische Spektrum zu seinen Gunsten ausrichten, so regiert er seit zwei Jahrzehnten – für die Opposition bleibt dann wenig Raum. Etwa, wenn seine Gegner darauf hinweisen wollen, wie Erdogan gerade das Verfassungsgericht entmachtet. Oder wie er daran scheitert, die endlose Wirtschaftskrise zu beenden. 

Geht es um die Wirtschaft, ist Erdogan nach wie vor pragmatisch. Die Zeitung «Karar» berichtete kürzlich, dass das Land nicht nur weiterhin mit Israel handele – das Handelsvolumen sei im Dezember sogar gestiegen. Es sei höher als vor dem 7. Oktober.

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