July 27, 2024

Teheran liess am Dienstag pakistanisches Staatsgebiet beschiessen: Raketenwerfer der iranischen Armee bei einer Übung im Oktober 2023.

Der Iran hat mit Raketen und Drohnen Ziele in Pakistan angegriffen. Warum?

Die Attacke habe der radikalsunnitischen Separatistengruppe Jaish al-Adl gegolten, berichteten iranische Staatsmedien am Dienstagabend. Zwei wichtige Stützpunkte der Extremisten seien zerstört worden. Die Gruppe Jaish al-Adl soll in den letzten Wochen im Südostiran zwei Anschläge verübt haben – dem Iran ging es also um eine militärische Vergeltungsaktion.

Gemäss Behördenangaben aus Pakistan kamen bei den iranischen Militärschlägen in den Bergen der westpakistanischen Provinz Belutschistan zwei Kinder ums Leben, drei weitere erlitten Verletzungen. Zudem sei eine Moschee, rund 50 Kilometer von der Grenze des Iran entfernt, beschädigt worden. Wie aus einer Telegram-Mitteilung der Sunnitenmiliz Jaish al-Adl hervorgeht, sollen Wohnhäuser getroffen und Familienmitglieder getötet worden sein.

Welche Ziele verfolgt Jaish al-Adl?

Die 2012 gegründete Gruppe Jaish al-Adl, wörtlich übersetzt «Armee der Gerechtigkeit», kämpft gemäss eigenen Angaben für Unabhängigkeit in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan. Die meisten Bewohner von Belutschistan sind Sunniten, die Shia ist dagegen die Staatsreligion des Mullah-Staats Iran. Zwischen Schiiten und Sunniten gibt es immer wieder Konflikte. Als geografische Region erstreckt sich Belutschistan über den Südosten des Iran, den Süden Afghanistans und den Südwesten Pakistans, wo Jaish al-Adl Rückzugsgebiete haben soll.

Der Iran verdächtigt das grossmehrheitlich sunnitische Pakistan, Aufständische zu beherbergen. Jaish al-Adl hat in den letzten zehn Jahren Bombenanschläge im Iran und Entführungen iranischer Grenzpolizisten für sich reklamiert. Wie der Iran stufen auch die USA Jaish al-Adl als Terrororganisation ein. Der Iran bekämpft seit Jahren die sunnitischen Extremisten in seinen Grenzgebieten – aber seine Raketen- und Drohnenangriffe in Pakistan, das eine Atommacht ist, sind ein Novum.

Wie hat Pakistan auf die iranischen Angriffe auf sein Staatsgebiet reagiert?

Das Aussenministerium in Islamabad verurteilte die «unprovozierte Verletzung» seines Luftraums und drohte dem Iran mit «ernsthaften Konsequenzen». Inzwischen hat Pakistan seinen Botschafter aus Teheran abgezogen. Zudem darf der Botschafter des Iran, der sich derzeit in seinem Heimatland aufhält, bis auf weiteres nicht nach Pakistan zurückkehren. Schliesslich haben die Pakistaner alle in den nächsten Tagen geplanten bilateralen Treffen auf hoher Ebene ausgesetzt.

«Der Angriff galt nur Terroristen, die im pakistanischen Grenzgebiet Unterschlupf suchen»: Hussein Amirabdollahian, der iranische Aussenminister.

Erst am Dienstag hatten sich der iranische Aussenminister Hussein Amirabdollahian und Pakistans geschäftsführender Premierminister Anwaarul Haq Kakar beim Weltwirtschaftsforum in Davos getroffen. Der Aussenminister des Iran hat mittlerweile die Angriffe gegen Jaish al-Adl verteidigt. «Wir respektieren die Souveränität und die territoriale Integrität Pakistans, aber wir werden den Extremisten nicht erlauben, mit der nationalen Sicherheit unseres Landes zu spielen.» Und weiter: «Kein Staatsbürger unserer Nachbarn, Freunde und Brüder in Pakistan, wurde durch Drohnen und Raketen ins Ziel genommen.» Der Angriff habe stattdessen «nur Terroristen gegolten, die im Grenzgebiet Unterschlupf suchen», sagte Amirabdollahian am Mittwoch am Rande des WEF in Davos.

Droht gar eine militärische Reaktion Pakistans?

Ein hoher Sicherheitsberater Pakistans sagte der Nachrichtenagentur AP, sein Land behalte sich das Recht vor, Zeit und Ort für eine Reaktion selbst zu bestimmen und dabei die öffentliche Meinung zu berücksichtigen. Von Bedeutung könnte dabei sein, dass in Pakistan am 8. Februar Parlamentswahlen stattfinden. Der pakistanische Sicherheitsexperte Aamir Rana sagte der BBC, dass es einige Zeit brauchen werde, bis die diplomatische Krise beigelegt werden könne. Pakistan habe allerdings kein Interesse an einer Eskalation des Konflikts mit dem Iran. (Lesen Sie unsere Analyse zur Rolle des Iran im Nahen Osten: Iran hat kein Interesse an einem Krieg)

Gemäss dem AP-Bericht scheint die pakistanische Regierung bemüht zu sein, die öffentliche Empörung im Land nicht zu gross werden zu lassen. Die normalerweise nationalistischen Medien Pakistans hätten ungewohnt zurückhaltend über den Angriff der Iraner berichtet. Die iranischen Revolutionsgarden hatten erst vor ein paar Tagen Ziele im Irak und in Syrien attackiert – auch das waren Vergeltungsaktionen.

Wie waren bisher die Beziehungen zwischen dem Iran und Pakistan?

In der jüngeren Vergangenheit haben der Iran und Pakistan gemeinsame Projekte in die Wege geleitet. Die Marinen beider Länder hielten kürzlich zusammen Übungen ab. Zudem sollen Teheran und Islamabad sich darauf verständigt haben, gemeinsam gegen militante Gruppen beider Länder vorzugehen. Sowohl der Iran als auch Pakistan sind oft Schauplatz von Terroranschlägen. Die zuletzt positiven bilateralen Beziehungen haben nun Schaden genommen nach den iranischen Militärschlägen gegen Jaish al-Adl.

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@V_Capodici

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