September 8, 2024

Ein Traumziel in der Region – aber nicht für die schönen Strände: Die kleine Inselgruppe von Mayotte liegt zwischen Mosambik und Madagaskar.

Mayotte ist eine Welt entfernt von Paris, in jeder Hinsicht, auch geografisch: Etwas mehr als 8000 Kilometer sind es, Luftlinie. Aber administrativ ist die kleine Inselgruppe im Indischen Ozean ganz und gar französisch, sie ist das 101. Département. Mayotte liegt auf halbem Weg zwischen Moçambique und Madagaskar – und ist gesegnet mit viel natürlicher Schönheit.

Die Franzosen auf dem französischen Festland, in der Metropole, wie man noch immer sagt, als wäre man in der Kolonialzeit stecken geblieben, hören jeden Tag von Mayotte – dann nämlich, wenn der Wettermoderator im Fernsehen die Lage in den Überseegebieten schildert. Das dauert nie länger als zwei, drei Sekunden, er wischt schnell von der Karibik über den Indischen Ozean nach Polynesien: Das Wetter ist ja auch meistens schön.

Ein Armenhaus als Sehnsuchtsort

Plötzlich schiebt sich Mayotte nun aber sehr prominent ins Zentrum der Pariser Politik – mit einer explosiven Angelegenheit. Seit drei Wochen wird Mayotte, das die Einheimischen «Maoré» nennen, lahmgelegt von der Bürgerbewegung «Forces vives». Mit ihren Strassenblockaden behindern sie den Verkehr, die Wirtschaft, den ganzen Alltag.

Die aufgebrachten Mahorer beklagen sich darüber, dass sich die Metropole nicht genügend kümmert um die offenbar zunehmend anarchisch gewordene Zuwanderung von den komorischen Nachbarinseln und vom afrikanischen Festland.

Mayotte mag im nationalen Vergleich das ärmste Département Frankreichs sein, auch das mit den wenigsten Schulabschlüssen. Doch im regionalen Vergleich ist es eine Scholle der Verheissung. Auf der Insel Anjouan etwa, die nur siebzig Kilometer entfernt liegt, eine kurze Überfahrt in einer Barke, sind die Löhne im Durchschnitt etwa ein Zehntel dessen, was sie in Mayotte sind. Auch die Schulen von Mayotte sind besser, das Gesundheitswesen, die Kindergärten.

Das Nord-Süd-Gefälle, mitten im Süden. Die restlichen Inseln der Komoren hätten das auch so haben können: Bei einer Abstimmung 1974 entschieden sie sich aber für die Unabhängigkeit. In Mayotte dagegen nahmen damals so wenige Stimmberechtigte am Referendum teil, dass es dort 1976 wiederholt wurde. Und die Mahorer wollten französisch bleiben.

Laut einer aktuellen Erhebung leben ungefähr 310’000 Menschen auf Mayotte. Doch wahrscheinlich sind es viele mehr, wenn man auch die mitzählen würde, die illegal eingereist sind und in der Hauptstadt Mamoudzou in Slums leben. Jeder zweite Bewohner der Insel, so errechnete es das französische Statistikamt, ist nicht Mahorer, also nicht Franzose.

Der Innenminister kündigt «radikale Massnahmen» an

Nun war Innenminister Gérald Darmanin da, um die Gemüter zu beruhigen. Und er tat das mit einem Donnerschlag, der bis nach Paris hallte. Noch auf dem Rollfeld des Flughafens sagte Darmanin, er komme mit «radikalen Massnahmen» und «extrem starken Ankündigungen» zur Erlangung der französischen Nationalität.

«Der Präsident der Republik hat mir aufgetragen, den Mahorern zu sagen, dass wir die Aufhebung des Bodenrechts in Mayotte in einer Verfassungsänderung festschreiben werden», sagte Darmanin. Es werde in Zukunft nicht mehr möglich sein, allein per Geburtsortsprinzip Franzose zu werden, wenn nicht auch ein Elternteil Franzose sei. «So werden wir die Anziehungskraft der Insel kappen.»

Da wurde er noch gefeiert: Gérald Darmanin im Frühling 2023, als er die Insel mit seinem ersten Aktionsplan im Gepäck besucht hatte.

Das ist eine der Hauptforderungen der Mahorer, lange schon, wenn auch nicht die einzige. Es soll Schwangere von den Nachbarinseln geben, die für die Geburt nach Mayotte kommen, damit ihre Kinder dann Franzosen werden können. Dabei gibt es schon eine kleine Sonderregelung: Die Eltern müssen seit mindestens drei Monaten mit gültigem Aufenthaltsrecht auf französischem Boden leben, damit ihre Kinder beim Erreichen der Volljährigkeit das Recht auf die französische Nationalität haben. Diese Frist soll jetzt in einer ersten Phase auf ein Jahr ausgeweitet werden.

Den Rechten missfällt das Bodenrecht, die Linke verteidigt es

Eine Verfassungsänderung braucht ihre Zeit, und sie würde einen heiklen Präzedenzfall setzen. Das wissen auch die Mahorer, die in den Fernsehnachrichten aus Paris alle innenpolitischen Dynamiken mitbekommen. Emmanuel Macron kann ja viel versprechen, doch sein Lager verfügt nicht über eine Parlamentsmehrheit.

Der Präsident braucht also die Hilfe der Opposition, um eine Änderung durchzubringen. Und die kann nur aus den Reihen der Rechten und extremen Rechten kommen, denen das Bodenrecht schon immer missfiel – nicht nur auf Mayotte.

Die Linke wiederum wehrt sich gegen eine Verfassungsreform, weil sie für einen beispiellosen Bruch der «Égalité», der Gleichheit, zwischen den verschiedenen Départements der Republik stünde. «Wenn das durchginge und Marine Le Pen danach an die Macht käme», sagte der Grünen-Abgeordnete Aurélien Taché, «dann wäre das Bodenrecht in Frankreich Geschichte.»

Die Polizeioperation heisst «Wuambushu», sie wird ausgebaut

Hätte Macron, der sich schon für das neue Einwanderungsgesetz auf die Stimmen der Rechten verlassen hatte, erst mal eine Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments zusammen, wäre für eine Revision der Verfassung in einem zweiten Schritt eine Dreifünftelmehrheit des Kongresses nötig, also von Senat und Nationalversammlung in gemeinsamer Sitzung. Oder eine Volksabstimmung. Alles sehr aufwendig, zeitraubend – und, wenn es so wirklich käme, auch historisch.

Die Bürgerbewegung auf Mayotte hält die Ankündigung deshalb für ein hübsches Versprechen, mehr noch nicht. Innenminister Darmanin kündigte deshalb an, Paris werde einen «eisernen Vorhang» ziehen vor der Küste Mayottes, draussen auf dem Meer, um die Boote der Migranten am Anlegen zu hindern. Die Marine schicke zudem mehr Schiffe zur Kontrolle der Grenzen, es sollen Drohnen und Radargeräte eingesetzt werden.

Auch die Polizeioperation «Wuambushu», mahorisch für «Wieder in den Griff bekommen», soll ausgebaut werden, obwohl sie schon gut bestückt ist. Auf der Insel seien nun mehr Gendarmen im Einsatz als in Marseille und Lyon zusammen, sagte Darmanin. Die Strassenblockaden bleiben aber fürs Erste. Mayotte, die entfernte Welt, steht nun plötzlich im Zentrum der Republik.

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@OliverMeiler

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