July 27, 2024

Rishi Sunak hat einen Teilerfolg im Unterhaus erzielt: Sunaks Gesetz will Ruanda ganz einfach per Parlamentsbeschluss für «sicher» erklären – ungeachtet des Gerichtsurteils und allen Fakten zum Trotz.

Grossbritanniens Regierungschef Rishi Sunak wähnt sich als Sieger, nachdem er sein «Ruanda-Gesetz» diese Woche durchs Unterhaus brachte. Die von ihm befürchtete Rebellion seiner Parteirechten fand am Ende nicht statt. Von sechzig Tory-Hardlinern, denen das Gesetz nicht weit genug ging, stimmten am Ende nur elf gegen die weitere Behandlung der Vorlage. Den anderen war das Risiko zu gross, dass sie ausgerechnet in einem Wahljahr die eigene Regierung zu Fall bringen würden. Sie prophezeien freilich unverdrossen ein baldiges Scheitern des Regierungsprojekts.

Denn zu überzeugen vermochte Sunak seine Kritiker nicht. Aus ganz unterschiedlichen Gründen folgen moderate wie nationalkonservative Tories nur widerwillig dem Kurs, den der Premier in dieser Frage eingeschlagen hat. Das Unterhaus-Drama der letzten Tage hat die teils bitteren Gegensätze in der britischen Regierungspartei unbarmherzig zutage gefördert. Nun geht das Gesetz ans Oberhaus, wo ihm weiterer Widerstand droht. Danach kündigen sich womöglich monatelange Auseinandersetzungen mit der Justiz zur Rechtmässigkeit der Regierungspolitik an.

Voll innerer Widersprüche und Absurditäten

Denn das Gesetz, das Rishi Sunak so verzweifelt durchzupeitschen sucht, war von Anfang an voll innerer Widersprüche und regelrechter Absurditäten. Mit seiner Hilfe will Sunak «illegale Migranten», die über den Ärmelkanal setzen, zu Tausenden ins afrikanische Ruanda abschieben, um andere Asylsuchende von der Überfahrt nach England abzuschrecken. Allerspätestens in diesem Frühjahr, so gelobte Sunak, sollen die ersten Kandidaten auf Nimmerwiedersehen nach Ruanda geschafft werden. «Stop the boats», haltet die Boote auf, ist die Parole, mit der der Premier sich Antipathien gegen Flüchtlinge in der Bevölkerung zunutze machen und in die Wahlen ziehen will.

Eine solche Massendeportation hatte allerdings im vorigen November Grossbritanniens oberstes Gericht verboten, weil im Urteil der Richter Ruanda Flüchtlingen «nicht die nötige Sicherheit» bot. Sunaks Gesetz will nun im Gegenzug ganz einfach per Parlamentsbeschluss Ruanda für «sicher» erklären – ungeachtet des Gerichtsurteils, und allen Fakten zum Trotz.

«Schritt zum Totalitarismus»

Zugleich soll nach Kräften verhindert werden, dass sich die zur Deportation Bestimmten gegen ihre Verfrachtung nach Afrika wehren können. «Ausländische» Gerichte (gemeint sind internationale Gerichtshöfe, die Grossbritannien mit beschickt) sollten sich gefälligst nicht mehr in «nationale Belange» einmischen, hat Sunak in bester Brexit-Manier erklärt.

Aus der heimischen Menschenrechtsgesetzgebung sollen derweil Passagen, die den Deportationen im Weg stehen könnten, kurzerhand gelöscht werden. Unerwünschte gesetzliche Bestimmungen sollen aus dem Verkehr gezogen werden wie die Flüchtlinge selbst.

Viele Juristen auf der Insel halten das für eine gefährliche Entwicklung. Sie sprechen von einem gezielten Angriff auf die Justiz und auf die Gewaltenteilung im Staat. Lord Carlile, einer der prominentesten Oberhaus-Anwälte, hat am Donnerstag bereits vor einem «Schritt zum Totalitarismus hin» gewarnt.

Der britische Premier Rishi Sunak im Mai 2023 mit Ruandas Präsident Paul Kagame in London. Sunak warb mit dem Slogan «Stop the boats» für sein Gesetzesvorhaben.

Unvergessen ist geblieben, wie Boris Johnson 2019 einmal das Parlament für eine Weile zum Pausieren zwingen wollte, weil die Parlamentarier sich gegen seine Brexit-Pläne sperrten. Damals war die Volksvertretung das Hindernis für eine sich als souverän verstehende Administration.

Diesmal sind Menschenrechte und Flüchtlingskonventionen das Problem für die Konservativen: dieselben europäischen und UNO-Konventionen, die London in der Folge zweier Weltkriege mit aus der Taufe hob.

Grosse Zweifel am Abschreckungseffekt

Moderate Tories warnen denn auch, dass Sunaks Gesetz an die Grenzen des Akzeptablen stosse. Allein die Idee, ein Land per Parlamentsbeschluss für «sicher» zu erklären, nur weil es der Regierung so passt, hat zu Unruhe geführt – zumal London in den letzten Jahren mehrfach Personen Asyl gewährt hat, die aus Ruanda nach Grossbritannien geflohen waren. Am Abschreckungseffekt einer Drohung mit Deportation wird von Experten ebenfalls gezweifelt. Immerhin hat Innenminister James Cleverly, der nach aussen hin die Trommel rührt für die Ruanda-Pläne, sie im privaten Kreis «bescheuert» genannt.

Sunak seinerseits soll vor zwei Jahren noch versucht haben, Boris Johnson von der Idee abzubringen. Nicht weil der damalige Schatzkanzler eine solche Behandlung von Flüchtlingen unmoralisch gefunden hätte, sondern weil ihm das Ganze zu teuer schien. Inzwischen, im extremen Stimmungstief der Tories, ist die Ruanda-Frage aber für Rishi Sunak zu einer politischen Überlebensfrage geworden. Wenigstens ein Flugzeug will er starten sehen, bevor er seine Mitbürger an die Wahlurnen ruft.

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