July 27, 2024

Blau-rote Krawatte auf weissem Hemd: Frankreichs neuer Premierminister Gabriel Attal bei seiner Regierungserklärung in der Assemblée Nationale in Paris.

Gabriel Attal, Frankreichs jüngster Premier aller Zeiten, 34 Jahre alt, hat sich seinen Einstand wohl gemächlicher gewünscht als stufenweises Herantasten an das Amt. Doch das war ihm nicht gegönnt. Der Auftakt ist zur Feuertaufe geworden, mit flammenden Protesten der Bauern im ganzen Land, die viel zu viel von ihm fordern und die er nun doch nicht enttäuschen durfte in seiner Regierungserklärung in der Nationalversammlung. Er nannte darin die Landwirtschaft «unseren Stolz», «Fundament unserer Nation» und versprach: «Es wird einen Sonderweg geben für die französische Landwirtschaft.»

Die Bauern könnten sich darauf verlassen, dass seine Regierung sie schützen werde – gegen unfaire Konkurrenz aus dem Ausland, gegen die Folgen des Klimawandels, gegen Seuchen, gegen hohe Dieselpreise. Und gegen die Grossindustrie und Supermarktketten, die sie klein hielten mit ihrer Preispolitik. Die Firmen würden gebüsst, sagte Attal, und das Geld aus den Strafen werde er in die Landwirtschaft investieren.

«Wir handeln schnell und stark», sagte er, aber manche Dinge liessen sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Ob das den Bauern genügt? Eher nicht, die ersten Reaktionen waren skeptisch. Neue Versprechen hatte er ja auch nicht gemacht.

Flammende Proteste: Frankreichs Bauern blockieren Autobahnen im ganzen Land, hier die A9 bei Nîmes.

Attal trug eine blau-rote Krawatte über seinem weissen Hemd, die Farben der Nation, die er mit einer langen Serie von denkwürdig inbrünstigen Elogen bedachte – gerade für einen so jungen, scheinbar modernen Mann wie ihn. «Frankreich ist eine Nation wie keine andere», sagte er. «Frankreich reimt auf Macht.» Frankreich lasse sich nie unterkriegen – weder gestern, noch heute, noch morgen. «Ich sträube mich dagegen, dass unsere Identität sich verwässert oder auflöst.» Der ehemalige Sozialist hörte sich wie ein alter, stolzer Patriot an – und so war das wohl auch gedacht.

Besonders auffällig war, wie er sich zum Fürsprecher für die Mittelschicht im Land stilisierte, die stille Mehrheit, die früh aufstehe, arbeite, die Steuern bezahle und das Gefühl habe, dass sie benachteiligt werde. Es könne ja auch nicht sein, dass man es in Frankreich in vielen Fällen mit dem gesetzlich festgelegten Mindestlohn, dem sogenannten Smic, fast auf gleich viel bringe, wie wenn man sein Leben ohne Hilfe verdiene.

«Ich werde das Land entsmicarisieren», sagte Attal. Er verhiess auch, dass er Frankreich «entbürokratisieren» werde. In der Summe kam ein sehr wirtschaftsliberales, konservatives Credo hervor.

Macron grätscht noch kurz dazwischen

Doch bei aller Eloquenz und trotz inflationär eingesetztem «je», ich: Die Gestaltungsfreiheit französischer Premierminister ist nicht sehr gross, sie sind Subalterne des Präsidenten der Republik, Ausführer der Direktiven aus dem Élysée. Emmanuel Macron hielt sich in den vergangenen Tagen stark zurück mit Kommentaren zur nationalen Tagespolitik, er war auch viel unterwegs: Indien, Schweden.

Doch kurz vor Attals Programmrede war er dann doch wieder da und erklärte in einer Medienkonferenz in Stockholm mal schnell die grossen Linien für die Landwirtschaft und wandte sich dabei gegen einige Aspekte der europäischen Handelspolitik. Man könne nicht von den eigenen Bauern den Respekt neuer Normen einfordern, während man sie bei Freihandelsabkommen, wie jenem mit den südamerikanischen Staaten des Mercosur, nicht durchsetze. So werde Frankreich das Abkommen nicht unterzeichnen, sagte Macron – und stahl so seinem Premier ein bisschen die Show.

Die persönlichste Note zum Schluss der Rede

Nur ein paar Minuten später schritt Gabriel Attal ans Rednerpult im französischen Parlament – für das, was die Franzosen «Le grand oral» nennen, das grosse Mündlichexamen. Mehr als eine Stunde mit konstant hohem Sprachtempo, fast ohne Versprecher. Die Opposition versuchte, ihn mit Geheul zu übertönen, doch er hielt tapfer lächelnd dagegen.

Im persönlichsten Moment der Rede sagte Attal, Frankreich sei zu vielem fähig, das zeige auch sein eigenes Beispiel: «Vor zehn Jahren zerriss sich dieses Land noch über die Ehe für alle, heute kann jemand Premierminister sein, der offen dazu steht, dass er homosexuell ist.»

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