Diplomatinnen und Diplomaten vieler Staaten nahmen in Moskau Abschied vom verstorbenen Politiker. Die Schweizer Botschafterin blieb fern.
Viele Menschen haben trotz drohender Repression in Moskau von Alexei Nawalny Abschied genommen – darunter auch Vertreterinnen und Vertreter westlicher Staaten. So brachten unter anderem die US-Botschafterin in Russland, Lynne Tracy, ihr deutscher Kollege Alexander Graf Lambsdorff, sowie der französische Botschafter Pierre Levy rote Rosen zu der Kirche, in der am Freitag zur Mittagszeit die Trauerfeier für den in einem Straflager in Sibirien verstorbenen Oppositionsführer stattfand.
Auch der österreichische Botschafter Werner Almhofer hatte sein Kommen und die Niederlegung eines Kranzes an Nawalnys Grab angekündigt – als «klares Signal an das russische Regime».
Kein ähnliches Zeichen setzte die Schweiz. Weder ihre Botschafterin in Moskau, Krystyna Marty Lang, noch eine andere Vertretung der Eidgenossenschaft waren bei der Trauerfeier und der anschliessenden Beerdigung zugegen. Die offizielle Begründung für das Fernbleiben: Es war keine Einladung durch Nawalnys Hinterbliebene erfolgt.
«Die Schweizer Botschaft in Russland wurde nicht zur Beerdigung von Alexei Nawalny eingeladen, die seinen Angehörigen die Möglichkeit geben soll, in aller Stille zu trauern», schreibt das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf Anfrage. Nawalnys Team hatte die Öffentlichkeit zur Teilnahme am Gedenken eingeladen. Die Trauerfeier in Moskau fand unter starker Polizeipräsenz statt.
In St. Petersburg legten zur selben Zeit die diplomatischen Vertreter Polens, Deutschlands und Norwegens Blumen an einem Denkmal für die Opfer des Gulags nieder. Sie wurden aber sofort von russischen Polizisten weggewiesen, da es sich bei den drei Personen angeblich um eine verbotene «Massenversammlung» handelte.
Zurückhaltende Schweiz
Die Schweiz hatte auf den Tod Nawalnys vor rund zwei Wochen vergleichsweise zurückhaltend reagiert. Zwar zeigte sich das EDA «bestürzt», doch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die schweizerische Reaktion als «im Vergleich zu anderen Ländern auffallend zahm und in unseren Augen beschämend».
Das Aussenministerium verzichtete – anders als andere westliche und auch als andere neutrale Staaten – auf die Einbestellung des russischen Botschafters, nachdem Nawalny unter ungeklärten Umständen nach langer harter Haft umkam. Es erklärte, es habe Nawalnys willkürliche Inhaftierung und Misshandlung in der Vergangenheit wiederholt angeprangert.
Als Gründe für die schweizerische Zurückhaltung wird in Diplomatiekreisen oft die Neutralität und die Vermittlerrolle angeführt. Das Regime von Wladimir Putin bezeichnet die Schweiz zwar wegen der Übernahme der Sanktionen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine als nicht mehr neutral. Die Schweiz gewährleistet aber weiterhin als Schutzmacht den konsularischen Austausch zwischen Russland und Georgien.
In seiner kurzen Erklärung zum Ausbleiben an der Trauerfeier für Alexei Nawalny schreibt das Schweizer Aussenministerium noch: «Das EDA setzt sein Engagement für Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger gemäss den Leitlinien der Schweiz fort.»
Kurz nachdem Nawalnys Sarg in der Erde verschwunden war, kam es in Moskau und in anderen russischen Städten bereits zu ersten Verhaftungen von Regimekritikern.
Thomas Knellwolf ist Bundeshaus-Korrespondent, mit Schwerpunkt Justiz und Nachrichtendienst. Bei Tamedia hat er den Recherchedesk mitaufgebaut und geleitet. Er ist Autor mehrerer Sachbücher. Kontakt über Threema EKK58SS4 oder E-Mail vorname.nachname (at) tamedia.chMehr Infos@KneWolfBernhard Odehnal ist Mitarbeiter beim Tamedia-Recherchedesk. Er studierte Slawistik und war bis 2017 Korrespondent des Tages-Anzeigers für Österreich und Osteuropa. Er hat mehrere Bücher geschrieben und unter anderem den Zürcher Journalistenpreis gewonnen.Mehr Infos@BernhardOdehnal
Fehler gefunden?Jetzt melden.
24 Kommentare