July 27, 2024

Gehörte dem Bundestag seit 1972 an: Der frühere deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist mit 81 Jahren gestorben.

Der französische Präsident Emmanuel Macron und die Spitzen der deutschen Politik und Gesellschaft haben sich von dem mit 81 Jahren gestorbenen Politiker Wolfgang Schäuble verabschiedet.

Macron würdigte Schäuble in einem bewegenden Staatsakt als Freund Frankreichs und grossen Europäer. «Deutschland hat einen Staatsmann verloren. Europa hat eine Säule verloren. Frankreich hat einen Freund verloren», sagte der Präsident auf deutsch in seiner Trauerrede im Reichstagsgebäude in Berlin. Schäubles Wunsch, einen Franzosen im Bundestag sprechen zu lassen, sage viel über dessen Vertrauen in Frankreich und Deutschland aus, ergänzte Macron.

Macron würdigt Schäuble auf Deutsch als grossen Vordenker

Macron erinnerte auch an den Tod von Jacques Delors am 27. Dezember. «Nacheinander hat Europa zwei seiner grossen Vordenker verloren.» Beide seien Gründerväter der europäischen Einigung und der Aussöhnung der Völker gewesen. «Zwei Staatsmänner, die für ihre Länder und Europa alles gegeben haben.» Es seien zwei Leben als Bindeglieder und Vermittler gewesen. «Sie sind im Abstand von einer Nacht von uns gegangen und unser Herz als Europäer trägt nun zweifache Trauer.»

Mit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags am 22. Januar 1963 seien Deutschland und Frankreich in die Pflicht genommen worden, sich auszusöhnen, sagte Macron. «Diese Aufgabe lag in den Händen mehrerer Generationen. Zu ihnen gehören die Gründerväter Europas (…). Wolfgang Schäuble zählte zu dieser Generation der Baumeister.»

Schäuble war länger als jeder andere Abgeordnete

Der frühere deutsche Kanzleramtschef, Innen- und Finanzminister, CDU-Vorsitzende und Präsident Schäuble war am 26. Dezember im Alter von 81 Jahren nach langer Krankheit in seiner südwestdeutschen Heimatstadt Offenburg gestorben. Dort wurde er auch beigesetzt. Schäuble gehörte dem Bundestag 51 Jahre lang an – länger als jede und jeder andere in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus.

Im Plenarsaal des Deutschen Bundestages hatten sich neben der Familie Schäubles rund 1500 Gäste aus Politik und Gesellschaft aus dem In- und Ausland versammelt, um sich zu verabschieden. Präsident Frank-Walter Steinmeier geleitete Schäubles Witwe Ingeborg zu Beginn zu ihrem Platz. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz sass direkt neben Macron.

Schäubles Witwe Ingeborg (Mitte) wird von Frank-Walter Steinmeier (r.) und seiner Frau Elke Büdenbender (l) geleitet. (22. Januar 2023)

Weggefährten nehmen Abschied

Auf der Besuchertribüne nahmen auch die frühere Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Ex-Präsidenten Horst Köhler, Christian Wulff und Joachim Gauck sowie die ehemaligen Präsidenten Rita Süssmuth und Norbert Lammert (beide CDU) Platz. Merkel schrieb in das Kondolenzbuch: «Im Gedenken an eine spannende, herausfordernde und immer einem Kompromiss dienende Zusammenarbeit! Danke!» Umrahmt wurde der Festakt für den Musik-Liebhaber Schäuble von Mozart-Musik, er endete mit der Nationalhymne.

Die frühere Kanzlerin Angela Merkel vor Beginn des Gedenkgottesdienstes für Schäuble im Berliner Dom. (22. Januar 2024)

Bas: Deutschland verliert grossen Demokraten

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte: «Deutschland verliert einen grossen Demokraten und Staatsmann. Europa einen Vordenker. Und Frankreich einen besonderen Freund.» Für Schäuble sei die europäische Einigung ein Friedensprojekt gewesen, «die Lehre aus der deutschen Geschichte». Dass der Staatsakt zu Schäubles Ehren am Jahrestag des Élysée-Vertrages zur Aussöhnung der beiden einstigen Kriegsgegner Deutschland und Frankreich stattfinde, «hätte ihm gefallen».

Bärbel Bas würdigte Schäuble in ihrer Rede als «grossen Demokraten und Staatsmann». (22. Januar 2024)

Politische Rückschläge und persönliche Schicksalsschläge habe Schäuble weggesteckt, sagte Bas – seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 sass Schäuble im Rollstuhl. «Er machte weiter. Für die Demokratie. Für dieses Land. Und er hat Historisches vollbracht», erinnerte sie an die Leistungen Schäubles als Architekt der Deutschen Einheit. Schäuble habe gewusst: «Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie ist es wert, verteidigt zu werden. Und sie muss verteidigt werden.» Kanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf X (vormals Twitter): «Mit dem Staatsakt ehren wir einen grossen Europäer und einen Politiker, der eines nie aus dem Blick verlor: das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu machen.»

Merz: «Danke, Wolfgang Schäuble»

Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte: «Wir verneigen uns vor einem wahren Staatsmann unseres Landes, vor einem europäischen Staatsmann, vor einem streitbaren Demokraten, vor einer prägenden Persönlichkeit der jüngeren Geschichte unseres Landes. Danke, Wolfgang Schäuble.» Dieser «wusste um die historische Bedeutung und um unsere besondere Verantwortung zusammen mit Frankreich».

Schäuble sei nie müde geworden, darauf hinzuweisen, dass Deutschland «Verantwortung in und für Europa» habe, aber auch Vertrauen in Europa brauche, sagte Merz, der Schäuble einen persönlichen Freund nannte. «Dieses Vertrauen muss sich Deutschland immer wieder und beständig erarbeiten, verbunden mit der Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen.» Dass Macron die Trauerrede halte, sei «Ausdruck eines solchen Vertrauens und ehrt uns alle».

Friedrich Merz hält im Deutschen Bundestag in Berlin vor den anwesenden Trauernden eine Rede. (22. Januar 2024)

Merz zitierte aus Schäubles Antrittsrede als Parlamentspräsident vom 24. Oktober 2017. Dieser habe damals dazu aufgerufen, das Vertrauen in das repräsentative Prinzip wieder zu stärken und hinzugefügt: «Ohne Parlamentarismus geht all das nicht.» Merz ergänzte: «Dieser Satz ist sein eigentliches politisches Vermächtnis.»

Bischöfin Fehrs: Schäuble gab vielen Menschen Kraft

Bei einem Gedenkgottesdienst im Berliner Dom würdigte die evangelische Bischöfin und amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs die Vorbildfunktion Schäubles. Mit seinem «Hoffnungsmut» habe er unglaublich vielen Menschen Kraft gegeben. Fehrs nannte Schäuble einen «imponierenden Antipopulisten», die gerade in diesen Zeiten gebraucht würden. Sie fügte hinzu: «Wie würde unser Land jetzt aussehen, wenn nicht ein so weitsichtiger Politiker wie er den deutschen Einigungsvertrag ausgehandelt hätte?»

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