July 26, 2024

Olaf Scholz hat einen riesigen Scherbenhaufen angerichtet und damit Briten und Franzosen verärgert: Die europäischen Partner hätten Soldaten vor Ort in Kiew, um bei der Zielsteuerung der Lenkwaffen zu helfen, behauptete er.

Jetzt wären Einigkeit und Entschlossenheit gefragt. Stattdessen streiten sich der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf offener Bühne darüber, wer mehr tut für die Ukraine. Dies, während Russland dort wieder Geländegewinne verzeichnen kann, weil insgesamt die westliche Hilfe für Kiew stockt. Und vor dem Hintergrund, dass die USA schon bald ihren Schutzschirm über Europa einklappen könnten, wenn Donald Trump ein Comeback schafft.

Die Lage ist für ganz Europa bedrohlich, denn Wladimir Putins imperiale Pläne gehen über die Ukraine hinaus. Sein Ziel ist es, Europas Sicherheitsarchitektur mit Nato und EU als Pfeiler zu zerstören.

Es ist also wirklich nicht die Zeit für Egotrips und parteitaktische Profilierungsversuche. Genau das bieten aber Macron und Scholz derzeit in der Öffentlichkeit. Die Chemie zwischen dem Visionär in Paris und dem einsilbigen Technokraten der Macht in Berlin war noch nie besonders gut. Die EU hatte einst einen deutsch-französischen Motor, der jetzt irreparabel beschädigt scheint.

Putin spielt mit den Ängsten des Westens

Anders als seine Vorgängerin Angela Merkel hat Olaf Scholz nie versucht, mit dem eloquenten Präsidenten im Élysée-Palast eine gemeinsame Sprache zu finden. Dabei hat Emmanuel Macron recht, wenn er der «strategischen Ambiguität» gegenüber Wladimir Putin das Wort redet und auch westliche Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschliessen will (lesen Sie hier eine erste Einordnung zu Macrons Gedankenspiel).

Der Herrscher im Kreml spielt geschickt mit den Ängsten, untergräbt damit die Unterstützung des Westens für die Ukraine. Ja, alles müsste getan werden, um Russlands Niederlage in der Ukraine sicherzustellen. Fällt die Ukraine, stellen sich nämlich ganz andere Fragen an der Aussengrenze von EU und Nato.

Ende Februar demonstrierten Scholz, Macron und weitere Staatschef in Paris kurz ihre Einigkeit und Unterstützung für die Ukraine – nur wenige Stunden später ging es aber mit den Egotrips und gegenseitigen Beschuldigungen weiter.

Olaf Scholz will keine deutschen Soldaten in der Ukraine sehen, das ist verständlich. Allerdings hat das auch nie jemand gefordert. Für Länder an der Ostflanke mag die Perspektive anders sein. Mit seinem lautstarken Protest hat der deutsche Kanzler Macrons Drohkulisse unnötig resolut als Bluff enttarnt, die «strategische Ambiguität» demontiert. Frankreichs Präsident hat mit seinem Alleingang genau das Gegenteil von dem erreicht, was die erklärte Absicht war.

So geht das nun zwischen Berlin und Paris schon eine Weile hin und her. Olaf Scholz lobt Deutschland seit Wochen als Musterschüler bei der Militärhilfe für die Ukraine und stellt gleichzeitig Frankreich an den Pranger, zu wenig zu tun. Man ist bemüht, sich gegenseitig blosszustellen. Deutschland liefere kaputte Panzer, während man selber der Ukraine moderne Artilleriegeschütze übergeben habe, so folgt prompt das Echo aus Paris.

Demut aus Berlin wäre angebracht

Zudem ist es nicht lange her, da wollte man in Berlin sich mit der Lieferung von 5000 Helmen und Schlafsäcken begnügen. Auch weil Deutschland als grösste Volkswirtschaft immer zu spät zu wenig geliefert hat, ist die Ukraine heute in der Defensive. Etwas Demut wäre also durchaus angebracht.

Tatsache ist, dass die Europäer gemeinsam viel mehr tun müssten. Die Ukraine verliert auch an Terrain, weil die EU ihr Versprechen um die Hälfte verfehlt hat, dem Land bis Ende dieses Monats eine Million Artilleriegeschosse zu liefern. Statt auf offener Bühne zu streiten, hätten Macron und Scholz alle Energie aufwenden sollen, das Munitionsversprechen zu erfüllen.

Wenn sich zwei streiten, freut sich Wladimir Putin. Es ist eine Blamage für den Westen, dass Russland trotz Sanktionsregime gleichzeitig anscheinend ohne Probleme seinen Munitionsnachschub aus Nordkorea organisieren kann.

Den bisher grössten Scherbenhaufen hat Olaf Scholz mit seiner Begründung angerichtet, weshalb Deutschland, anders als Briten und Franzosen, keine Langstreckenraketen zur Verfügung stellen will. Die europäischen Partner hätten Soldaten vor Ort in Kiew, um bei der Zielsteuerung der Lenkwaffen zu helfen. In London ist man «not amused», spricht von Geheimnisverrat und bestreitet gleichzeitig, dass britische Soldaten bei der Programmierung vor Ort helfen.

Die Ukraine könnte die Langstreckenraketen gut gebrauchen, um etwa den Nachschub über die Kerch-Brücke auf die Krim zu zerstören.

So oder so ist der Schaden angerichtet, das Vertrauensverhältnis beschädigt. Der Sozialdemokrat ist in Berlin unter Druck von Opposition und von den Koalitionspartnern, die für eine Lieferung der Taurus-Raketen sind. Die Ukraine benötigt die Marschflugkörper, um die Nachschublinien der russischen Streitkräfte zu erreichen. Aus rein innenpolitischen Gründen hat Olaf Scholz also die europäischen Verbündeten exponiert, Briten und Franzosen quasi als «Kriegspartei» geoutet.

Dabei hat Wladimir Putin dem Westen und der europäischen Sicherheitsarchitektur selber schon lange den Krieg erklärt. Es ist naiv und gefährlich, wenn ein deutscher Kanzler dies auch zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine immer noch nicht sieht.

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@StephanIsrael

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