July 27, 2024

Sorgt stets für gute Bilder von sich: Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Manöver letzte Woche in Norwegen.

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Seit Boris Pistorius vor gut einem Jahr die überforderte Christine Lambrecht als Verteidigungsminister ablöste, ist er der beliebteste Politiker Deutschlands. Das ist nicht nur wegen der Dauer ungewöhnlich, sondern auch weil der Neuling ein Amt versieht, das sich für seine Inhaberinnen und Inhaber in der Vergangenheit eher als Schleudersitz erwiesen hat denn als Sprungbrett für grössere Aufgaben.

Dass Pistorius Furore macht, ist natürlich der Lage geschuldet und der «Zeitenwende», die Kanzler Olaf Scholz ausrief, als Russland vor zwei Jahren die Ukraine überfiel. Die Deutschen standen der Bundeswehr seit der Wiedervereinigung bestenfalls mit freundlichem Desinteresse gegenüber, nun kommt es plötzlich wieder auf sie an.

Der Kontrast zum Kanzler ist ziemlich gross

Zudem hat sich der Sozialdemokrat bislang als der richtige Mann am richtigen Ort entpuppt: Pistorius ist ein zupackender, klar sprechender Macher – ein Leithammel, der einer demoralisierten Truppe und seinem Land die Zuversicht einflösst, die Bundeswehr sei vielleicht doch kein hoffnungsloser Fall.

Besonders gross ist der Kontrast zu seinem Chef: Wo der vorsichtige Scholz leise und technisch spricht und selten erklärt, wie er zu seinen Entscheidungen gelangt, packt Pistorius kommunikativ den Stier stets bei den Hörnern.

Auch zur Ukraine äussert er sich mutiger. Die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, sagte er gleich bei Amtsantritt, wogegen der Kanzler stets nur versprach, er werde alles tun, um eine Niederlage der Ukraine zu verhindern. Zwischen den beiden Positionen scheint nur eine semantische Kleinigkeit zu liegen, nimmt man die Aussage aber ernst, trennt sie viel.

Ein Kanzlerkandidat? Pistorius auf dem Berliner Flughafen.

In der sozialdemokratischen Partei jedenfalls, die in den Umfragen zuletzt auf 15 Prozent gefallen ist, entfachte Pistorius unversehens eine Sehnsucht nach einem Anführer wie ihm selbst. Je enttäuschter viele vom Kanzler waren, umso mehr ertappten sie sich beim Gedanken, dass einer wie der Verteidigungsminister die Partei vielleicht wieder beliebt machen könnte.

Könnte man, sollte man für den Bundestagswahlkampf 2025 den Kanzlerkandidaten Scholz nicht durch Pistorius ersetzen, fragten sich Ende letzten Jahres einige in der SPD – halb zu sich selbst, halb zum Publikum. Alles in allem waren die Überlegungen eher Fantasien einer ratlosen Partei als ernste Planspiele. Dass sie öffentlich wurden, sollte Scholz anregen, seinen Stil zu ändern, nicht einen Putsch ankündigen.

Pistorius wiederum denkt nach eigenem Bekunden gar nicht an so etwas wie eine Kanzlerschaft – und für einmal wirkt das Dementi glaubhaft. Der Mann, der diese Woche 64 Jahre alt wird, weiss, dass seine jetzige Aufgabe diejenige ist, an der er einmal gemessen werden wird. Alles Weitere sind Hirngespinste.

Sicherheitspartner: Der deutsche Kanzler Scholz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski (Mitte vorne), Aussenminister Kuleba, Aussenministerin Baerbock und Verteidigungsminister Pistorius (hinten, von links) an der Sicherheitskonferenz in München im Februar.

Die Hoffnung, Pistorius wäre der bessere Scholz, ist auch etwas überzogen, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Der Verteidigungsminister spricht zwar forscher als der Kanzler und zeigt sich gern bei der Truppe, bei allen wichtigen Streitfragen aber hat er sich stets hinter seinen Chef gestellt.

Selbst beim Taurus, dem deutschen Marschflugkörper, den die Ukraine gern hätte und den Scholz hartnäckig verweigert, liess Pistorius nie einen Zweifel an der Tatsache, dass der Kanzler diesen Entscheid fällt, nicht er selbst. Und anders als die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock liess er öffentlich bisher nie erkennen, dass er in dieser Frage anders entschieden hätte als Scholz.

Die Abhöraffäre könnte Pistorius noch schaden

Pistorius ist überdies erfahren und klug genug, zu wissen, dass die Beliebtheit von Politikern stets nur eine Momentaufnahme ist. Der Absturz lauert immer um die Ecke, ein Wiederaufstieg danach fällt schwer.

Selbst bei ihm gab es in den letzten Wochen Anzeichen dafür, dass die erste Begeisterung des Publikums langsam einer realistischeren Einschätzung weicht. Als ein paar seiner höchsten Offiziere sich kürzlich vom russischen Geheimdienst abhören liessen, wie sie über Einsatzmöglichkeiten des Taurus plauderten, sprach Pistorius danach zwar von «schweren Fehlern», stellte sich aber dennoch mutig hinter seine Leute.

Das könnte ihm noch um die Ohren fliegen, sollte der Untersuchungsbericht belegen, dass die Versäumnisse der Luftwaffenspitze grösser waren als gedacht. Pistorius musste im Bundestag jedenfalls gerade zugeben, dass nicht nur Brigadegeneral Frank Gräfe, sondern auch Luftwaffenchef Ingo Gerhartz sich nicht dienstgemäss in die fatale Videokonferenz eingeloggt hatte. Und dass dort möglicherweise doch Dinge besprochen wurden, die geheimer waren als ursprünglich vermutet.

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