September 7, 2024

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat die Unterstützung von US-Präsident Joe Biden für den Job als Nato-Generalsekretär.

Er trägt zu Hause nicht umsonst den Spitznamen «Teflon-Mark». In den Niederlanden sind an Mark Rutte in den langen Jahren als Regierungschef Krisen und Affären abgeperlt, ohne einen Kratzer zu hinterlassen. Nun soll der Mann ohne Eigenschaften neuer Nato-Generalsekretär werden und den Norweger Jens Stoltenberg ablösen. Insbesondere die führenden Nato-Staaten USA, Grossbritannien, Deutschland und Frankreich sollen sich hinter den 57-jährigen Niederländer gestellt haben, heisst es in Brüssel am Hauptquartier des Militärbündnisses.

Mark Rutte gilt zwischen Washington, Berlin und Paris als «sichere Wahl» in unsicheren Zeiten. Er ist der kleine gemeinsame Nenner, auf den man sich im Bündnis einigen kann. Mit dem Niederländer würde eine Personaldiskussion ein halbwegs glückliches Ende finden, die zuletzt das Image der Militärallianz zu beschädigen drohte. Mindestens zweimal schon musste Jens Stoltenberg zu einer Verlängerung gedrängt werden. Einmal, weil man sich im Bündnis auf keinen Nachfolger einigen konnte, und dann, weil kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ein Wechsel nicht opportun erschien.

Doch keine Frau

Halbwegs glücklich, weil eigentlich erstmals eine Frau den Job hätte bekommen sollen. Eine profilierte Kandidatin gibt es sogar, nämlich Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Sie warnt seit Jahren vor der Gefahr, die von Russland und Wladimir Putins imperialen Plänen ausgeht. Kein Wunder, hat Estland im Vergleich zur Wirtschaftsleistung mehr für die Unterstützung der Ukraine geleistet als alle anderen. Zuletzt hat Wladimir Putin die Regierungschefin sogar zur Fahndung ausgeschrieben.

Estlands Regierungschefin Kaja Kallas war auch als Nato-Generalsekretärin im Gespräch, ist aber einigen im Bündnis zu antirussisch.

Das hätte eigentlich Auszeichnung genug sein können, Kaja Kallas den Job an der Spitze der Nato zu geben. Doch einige im Bündnis finden, dass die Estin zu sehr Hardlinerin und ein rotes Tuch für Moskau ist. Die Wahl von Mark Rutte scheint deshalb eine ausgemachte Sache, auch wenn zuletzt noch Rumäniens Staatschef Klaus Johannis sein Interesse am Spitzenjob bekundet hat. Er kann auf die Unterstützung der Osteuropäer zählen, die darauf drängen, dass nun endlich ein Exponent der neuen Mitgliedsstaaten an der Reihe sei.

Mark Rutte muss in Osteuropa also noch Überzeugungsarbeit leisten. Das Auswahlverfahren für den Nato-Job ist fast so intransparent wie die Kür des Papstes im Vatikan. Es ist ein Posten, der diskret zwischen den Hauptstädten ausgehandelt wird, wobei das Wort des US-Präsidenten mehr Gewicht hat als alle anderen. Schliesslich steht und fällt das Bündnis mit den USA als grösster Militärmacht. In Brüssel möchte man die Wahl bis zum April treffen, also bevor nach der Europawahl der Postenschacher um die Europawahl losgeht. Der Nachfolger soll zudem rechtzeitig vor dem Nato-Gipfel zum 75. Gründungsjubiläum des Bündnisses im Juli feststehen.

Nur Orban ist länger im Amt

Doch was zeichnet Mark Rutte für den Job aus? Nur Viktor Orban ist in Europa länger im Amt. Entsprechend kennt der Niederländer alle Akteure, also auch Donald Trump, der möglicherweise vor einem Comeback als US-Präsident steht. Das kann ein Vorteil sein. Mark Rutte sei ein «herausragender Kandidat», wird der Regierungssprecher von Olaf Scholz zitiert. Der Niederländer habe «immense Erfahrung, grosse sicherheitspolitische Expertise und ein ausgeprägtes diplomatisches Geschick».

In Washington schätzt man ihn als ausgewiesenen Transatlantiker. Mark Rutte habe ein tiefes Verständnis für die Bedeutung des Bündnisses und sei ein guter Kommunikator. So scheute er 2018 bei einem Besuch bei Donald Trump nicht davor zurück, dem damaligen US-Präsidenten vor laufender Kamera zu widersprechen. Allerdings hat der rechtsliberale Regierungschef die Bedeutung von Verteidigung und Sicherheit selber erst spät entdeckt.

Armee kaputtgespart

Ähnlich wie Angela Merkel in Deutschland hat auch Mark Rutte die Armee seines Landes kaputtgespart und zum Beispiel alle Panzer verkauft. Erst in diesem Jahr sollen die Niederlande das Ziel der Nato erreichen, 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Das Bündnis hatte sich auf diese Vorgabe eigentlich schon 2014 nach der russischen Krim-Annexion geeinigt. Zuletzt hat sich Mark Rutte mit der Ankündigung profiliert, die sogenannte F-16-Koalition anzuführen. Das war, als der Junggeselle sich für den Job als Nato-Chef positionieren wollte.

Als Nato-Generalsekretär wird Mark Rutte nicht mehr ohne Leibwächter oder gar auf dem Velo zur Arbeit fahren können.

Zu der Koalition gehören europäische Staaten, die der Ukraine ausrangierte Flugzeuge aus amerikanischer Produktion überlassen wollen und dazu entsprechend Piloten ausbilden. Ein Versuch des Niederländers, knapp 100 Leopard-1-Panzer aufzukaufen und für die Ukraine instand zu setzen, scheiterte an der Schweizer Neutralität. Er sei «sehr enttäuscht» von der Schweizer Regierung, sagte Mark Rutte damals. Der Bundesrat hatte den Deal blockiert, bei dem das Rüstungsunternehmen Ruag die in Italien geparkten Kampfpanzer den Niederlanden überlassen hätte.

Mit dem Velo zur Arbeit

Seit 2010 ist Mark Rutte Regierungschef in Den Haag, seit den Wahlen im vergangenen November nur noch geschäftsführend im Amt. Er ist bekannt dafür, dass er gerne mit dem Velo zur Arbeit fährt und einmal pro Woche in einer Schule Staatskunde unterrichtet. Beides dürfte nicht mehr gehen, sollte Mark Rutte im Oktober nach Brüssel wechseln. Dass er zu Hause ein politisches Schlamassel zurücklassen wird, scheint ihm auf dem Weg an die Spitze des Militärbündnisses nicht zu schaden. Derzeit verhandelt Mark Ruttes rechtsliberale VVD mit Wahlsieger Geert Wilders und dessen Freiheitspartei (PVV) über eine Koalition. Der Rechtspopulist will die Ukraine zu einem Diktatfrieden mit Moskau zwingen und kein Geld mehr für Waffen nach Kiew überweisen. Mark Rutte geht aber nach eigenen Worten davon aus, dass sich an der Haltung der Niederlande gegenüber Nato und Ukraine nichts ändern wird. Und wenn, wäre «Teflon-Mark» schon über alle Berge.

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@StephanIsrael

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