Nach Plagiatsvorwürfen wurde ein Suizid der stellvertretenden Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» befürchtet.
Kaum noch jemand hatte damit gerechnet. Doch Freitag kurz vor Mittag meldete die österreichische «Kronen-Zeitung», dass die bekannte Journalistin Alexandra Föderl-Schmid unter einer Flussbrücke bei der oberösterreichischen Stadt Braunau von der Polizei gefunden worden sei. Stark unterkühlt. Aber lebend. Sie sei sofort in den Reanimationsraum des Spitals Braunau gebracht worden. Die oberösterreichische Polizei bestätigte wenig später die Meldung.
Am Donnerstagnachmittag war eine Frau als vermisst gemeldet worden. Kurz danach wurde ihr Name bekannt: Alexandra Föderl-Schmid, stellvertretende Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung». Vorausgegangen war dem Verschwinden eine wochenlange Berichterstattung über angebliche Plagiate der Journalistin.
Ausgewiesene Nahostexpertin
Die 53-jährige Oberösterreicherin ist mit dieser Redaktion eng verbunden, ihre Artikel erscheinen auch in den Tamedia-Publikationen. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 schrieb sie aus München und vor Ort aus Israel zahlreiche Analysen und Reportagen. Die ausgewiesene Nahostexpertin analysierte mehrmals im Podcast «Apropos» die Lage in Israel und beantwortete Fragen der Leserschaft in einem Videogespräch.
Laut deutschen Medienberichten ging die Polizei schnell von Suizid oder Suizidversuch aus. Das Auto der Journalistin stand nahe dem Flussufer auf einem Parkplatz, darin soll ein Abschiedsbrief gefunden worden sein. Ebenfalls auf einen Abschied deutete ein Mail, das Föderl-Schmid am Donnerstag gegen 5 Uhr morgens an den österreichischen Kommunikationswissenschaftler und «Plagiatsjäger» Stefan Weber mit Kopie an die Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung» schickte und das danach in den sozialen Medien auftauchte. Darin schrieb sie, dass sie viel «über Medien, Mechanismen, Menschen und Geschäfte» gelernt habe: «Zumindest diese Jagd ist vorbei.»
Am 18. Dezember hatte das deutsche Branchenportal «Medieninsider» Föderl-Schmid vorgeworfen, unsauber gearbeitet zu haben. In drei Artikeln über Israel nach dem 7. Oktober hatte das Portal Passagen gefunden, die in ähnlicher Form schon in anderen Publikationen erschienen waren.
Anfang Woche berichtete das politisch weit rechts stehende Portal «Nius» des früheren «Bild»-Chefredaktors Julian Reichelt in grossen Buchstaben von einem angeblichen «Plagiats-Skandal». Dieser würde weitere journalistische Texte sowie Föderl-Schmids 1996 veröffentlichte Dissertation betreffen. Das Portal hatte Stefan Weber engagiert, um die Texte zu prüfen.
Heftige Attacken
Daraufhin bat Alexandra Föderl-Schmid selber die Universität Salzburg, ihre Dissertation zu untersuchen. Die «Süddeutsche Zeitung» kündigte an, die journalistischen Texte von einer externen Kommission untersuchen zu lassen. Föderl-Schmid zog sich bis zum Abschluss der Untersuchungen aus dem Tagesgeschäft zurück. In den sozialen Medien, vor allem auf X, war die Journalistin heftigen und teilweise sehr persönlichen Attacken ausgesetzt.
In mehreren österreichischen Medien wurde Föderl-Schmid zuletzt gegen die Plagiatsvorwürfe verteidigt. So schrieb etwa die bekannte Journalistin Barbara Toth in der linken Wiener Stadtzeitung «Falter» von einer «verdienstvollen Arbeit mit wenigen ärgerlichen Ungenauigkeiten». Der Chefredaktor der steirischen «Kleinen Zeitung» schrieb vom «Rufmord» an einer Kollegin.
Stefan Weber kündigte hingegen auf seiner Website eine Fortsetzung seiner Plagiatsjagd an: Er werde nun über 7000 Artikel von Föderl-Schmid untersuchen, und schon erste Stichproben seien «alarmierend». Weber, ein früherer Studiumskollege von Föderl-Schmid, kündigt an, er werde «trotz aller Angriffe linker Publizisten» seine Arbeit «mit Leidenschaft» fortsetzen. Weber räumte aber selber ein, er sei aufgrund eines Konflikts mit Föderl-Schmids damaligem Betreuer an der Universität befangen.
Webers Ankündigung wurde noch vor der Meldung über das Verschwinden von Föderl-Schmid geschrieben. Aber auch nach dem Drama war sie auf seinem Blog immer noch online.
Alexandra Föderl-Schmid stammt aus einem kleinen Dorf im österreichischen Mühlviertel und studierte Publizistik in Salzburg. Nach dem Studium ging Föderl-Schmid zur Tageszeitung «Der Standard», wurde Korrespondentin in Brüssel und mit nur 36 Jahren Chefredaktorin. Kollegen und Kolleginnen aus dieser Zeit loben ihre Führungsqualitäten und ihren Fleiss. 2017 wechselte sie zur «Süddeutschen Zeitung» als Israel-Korrespondentin und fiel auch dort durch ihre enorme Schaffenskraft auf. Kaum ein Tag verging ohne einen neuen Bericht, eine Analyse, einen Kommentar aus Tel Aviv.
2020 stellte die «Süddeutsche» ihr Führungsteam neu auf, holte Judith Wittwer von Tamedia in die Chefredaktion nach München und machte Föderl-Schmid zur Stellvertreterin. Auch in dieser Management-Funktion schrieb sie weiter, unermüdlich, vor allem über Israel und die Palästinenser.
Hilfe bei Suizidgedanken
Haben Sie selbst Suizidgedanken, oder kennen Sie Betroffene? Erwachsene können die Dargebotene Hand kontaktieren, Telefon 143. E-Mail und Chat-Kontakte finden Sie auf www.143.ch. Für Kinder und Jugendliche ist das Telefon 147 da, auch per SMS, Chat, E-Mail oder unter www.147.ch. Die Angebote sind vertraulich und kostenlos. Auch die Website www.reden-kann-retten.ch bietet Hilfe. (red)
Ausgewählte Beiträge von Alexandra Föderl-Schmid
Bernhard Odehnal ist Mitarbeiter beim Tamedia-Recherchedesk. Er studierte Slawistik und war bis 2017 Korrespondent des Tages-Anzeigers für Österreich und Osteuropa. Er hat mehrere Bücher geschrieben und unter anderem den Zürcher Journalistenpreis gewonnen.Mehr Infos@BernhardOdehnalSimon Widmer ist seit 2019 Journalist im Ressort International der Redaktion Tamedia. Zuvor arbeitete er für die SonntagsZeitung. Widmer studierte an der Universität Bern Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre.Mehr Infos@WidmerSimon
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