July 27, 2024

Harmonisch, aber uneinig: Dreiergipfel in Weimar mit dem polnischen Premier Donald Tusk, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (v.l.).

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Für den französischen Präsidenten kann es in der zentralen Frage, die den Kontinent derzeit bewegt, keinen Zweifel geben. «Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, wird die europäische Glaubwürdigkeit auf null reduziert», warnte Emmanuel Macron in einem Interview über seinen Blick auf die Ukraine. Da gebe es «vollständigen Konsens» mit US-Präsident Joe Biden und dem deutschen Kanzler. (Lesen Sie hier das grosse Porträt über Macron.)

Seine Einigkeit mit Olaf Scholz betonte vor der Ausstrahlung dieses Interviews im Deutschen Bundestag allerdings auch Rolf Mützenich, der Fraktionschef der SPD, der Partei von Scholz. Seine Fraktion verschaffe dem Kanzler den Raum für seine «besonnenen Entscheidungen». Die beiden Wortmeldungen illustrieren Scholz’ Lage. Auf Linie sowohl von Macron als auch von Mützenich zu sein, ist nicht nur unwahrscheinlich. Es ist unmöglich.

Mützenich versus Macron

Gewissermassen idealtypisch stehen Mützenich und Macron für die mittlerweile divergierenden Erwartungen, die sich innen- wie aussenpolitisch in Sachen Ukraine an den deutschen Kanzler richten. Im Bundestag stellte Mützenich die Frage: «Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?»

Sprachrohr von Kanzler Scholz? «Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?», sagt Rolf Mützenich, der Fraktionschef der SPD, im Deutschen Bundestag.

Was er von solchen Fragestellungen hält, hat Macron mehr als deutlich gemacht: «Wenn wir ihm (Putin) naiv sagen, wir gehen nicht weiter als bis hierhin oder dahin, dann entscheiden wir uns nicht für den Frieden, sondern für die Niederlage.» Macron erneuerte seine Forderung, die Entsendung von Bodentruppen nicht auszuschliessen. Dem hat Scholz mehrfach widersprochen.

Auf kaum noch zu entwirrende Weise vermischen sich in den Streitigkeiten über die richtige Ukraine-Strategie für Scholz somit zwei grosse Fragen: diejenige nach dem Zusammenhalt Europas und diejenige nach dem Zusammenhalt seiner Regierungskoalition. Das prägte auch die Erwartungen an eine Zusammenkunft im Kanzleramt. Am Freitagmittag empfing Scholz Macron, nachdem beide über Tage auf offener europäischer Bühne ihren Dissens ausgetragen hatten.

Tusk versucht zu vermitteln

Nach zwei Stunden stiess der polnische Ministerpräsident Donald Tusk dazu. Dem Trio ging es darum, das Weimarer Dreieck wiederzubeleben. Das Format war ersonnen worden, um die europäische Integration voranzutreiben. Nun dient es womöglich auch dazu, Brücken zwischen Macron und Scholz zu bauen.

In einer Hinsicht herrscht tatsächlich Einigkeit: In den europäischen Hauptstädten wird die militärische Lage in der Ukraine als äussert prekär eingeschätzt – die Gefahr eines russischen Durchbruchs gilt als real. Scholz hat darauf schon vor Monaten mit dem Appell an die europäischen Verbündeten reagiert, ihre Hilfe für die Ukraine drastisch nach oben zu schrauben. Dabei verwies er darauf, dass Deutschland mit geleisteter oder zugesagter Waffenhilfe in Höhe von 28 Milliarden Euro zweitgrösster Unterstützer nach den USA sei.

Nach einem Telefonat mit Scholz dankte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Donnerstag noch einmal für die «vielfältige» Unterstützung. Zumindest öffentlich kommuniziert Selenski keinen Unmut über das Nein des Kanzlers zur Lieferung des Marschflugkörpers Taurus.

Wenigstens ein fester Händedruck

Umso deutlicher zeigt sich der tiefe Riss in der Koalition. Alle Redner von FDP und Grünen hatten sich von der Position des Kanzlers distanziert, während Mützenich den Scholz-Kritikern «eigennützige und niedere politische Beweggründe» unterstellte. Immer klarer zeigt sich, dass die SPD sich und den Kanzler als Garanten dafür präsentieren will, dass Deutschland nicht in den Krieg gezogen wird. Allerdings könnte genau dadurch Scholz in den Verdacht geraten, sich von innenpolitischen Motiven leiten zu lassen – sowohl in der Taurus-Diskussion als auch in seiner Ablehnung von Macrons Gedankenspielen zu Bodentruppen.

Im Anschluss an ihr Treffen bemühten sich Kanzler, Präsident und Ministerpräsident, alle «bösen Gerüchte über Meinungsunterschiede», wie Tusk es formulierte, zu widerlegen. «Wir alle drei meinen es ernst mit unserer Unterstützung für die Ukraine», versicherte Scholz. Macron begrüsste die Gelegenheit, «Einigkeit zu zeigen». Konkret verständigte sich das Trio auf eine Koalition, um der Ukraine weitreichende Raketenartillerie zur Verfügung zu stellen. Zum Abschied präsentierten sich der Deutsche, der Pole und der Franzose den Kameras lächelnd – und mit betont festem Händedruck.

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