July 27, 2024

Autorität zeigen und auf die Korrektur hoffen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte beim Migrationsgesetz auf Härte.

Frankreichs neues scharfes und kontroverses Einwanderungsgesetz bricht in vielen Punkten mit der Verfassung der Republik. So haben die neun Mitglieder des französischen Verfassungsrats befunden: Sie weisen 37 von insgesamt 86 Artikeln des Gesetzes ganz oder teilweise zurück – unter anderem die Einführung eines nationalen Vorrangs bei den Sozialleistungen oder das Ende des automatischen Bodenrechts zur Erlangung der französischen Nationalität.

Betroffen sind vor allem Artikel, die die Rechten im chaotischen Prozess der Gesetzgebung ganz zum Schluss eingebracht hatten als Gegenleistung für ihre Stimmen. Entsprechend aufgebracht sind sie nun.

Der Präsident wollte das Gesetz um jeden Preis

Zur Erinnerung: Dem zentristischen Regierungslager von Präsident Emmanuel Macron fehlten wieder einmal die Stimmen für die Verabschiedung eines Gesetzes. Seit den Wahlen 2022 hat es keine Mehrheit mehr im Parlament. Macrons Einwanderungsgesetz sollte ein Mix aus Härte und Integration sein, er hoffte auf Stimmen aus beiden Lagern. Als sich abzeichnete, dass es der Linken zu rechts und der Rechten zu links war, schwenkte der Präsident ganz nach rechts, um das Gesetz doch noch durchzubringen, um jeden Preis.

Die oppositionellen Républicains fügten dem Gesetz im Senat rasch mehr als fünfzig Änderungen bei. So wurde es dann verabschiedet. Auch der extrem rechte Rassemblement National von Marine Le Pen stimmte dafür. Dessen Stimmen waren entscheidend.

Die Macronisten erhofften sich dieses Urteil

Die Kritik an Macron war gross. Mehrere Minister vom linken Flügel seiner Partei drohten mit dem Rücktritt; Gesundheitsminister Aurélien Rousseau demissionierte. Die politische Krise bewegte den Präsidenten dazu, nur Wochen später einen neuen Premierminister zu berufen: Gabriel Attal folgte auf Élisabeth Borne, die das verschärfte Immigrationsgesetz nur widerwillig mitgetragen hatte.

Doch kaum war es durch, rief der Präsident den Verfassungsrat an, er möge das Gesetz auf seine Rechtmässigkeit prüfen. Oder anders: Macron und die Seinen hofften, dass die «Weisen» des Verfassungsrates einen Teil davon kassieren würden – insbesondere jene Neuerungen, die ihm die Rechte aufgezwungen hatte. So kam es jetzt, und das liegt nicht an der politischen Ausrichtung des Gremiums, soweit die bekannt ist: Fünf der neun Verfassungsrichter gelten nämlich eher als rechts.

Der «nationale Vorrang» verstösst gegen ein hehres Prinzip

Abgewiesen wurden Zusätze, die organisch nicht zum Gesetz passen, sogenannte «Cavaliers législatifs». Dazu gehört etwa der Artikel, der die Hinterlegung einer Kaution vorgesehen hätte für junge Ausländer, die für ein paar Semester in Frankreich studieren.

Ebenfalls zensiert wurde die Einführung von Quoten: Die Rechte hätte gern jedes Jahr neu im Parlament eine Obergrenze für die Aufnahme von Ausländern festgelegt. Besonders zentral aber war die Umsetzung einer Forderung, die Le Pen seit vielen Jahren stellt, nämlich des «nationale Vorrangs» – in diesem Fall bei der Vergabe von Familiengeld und Wohnhilfen. Das Gesetz hätte die Wartezeit für Ausländer drastisch verlängert, was auch dem Grundsatz der Gleichheit aus der Verfassung widersprochen hätte.

Le Pen distanziert sich von der AfD

Die Rechte ist empört. «Um das Schicksal Frankreichs zu retten, braucht es jetzt eine Verfassungsreform», sagte der Chef der Républicains, Éric Ciotti. Offenbar mache ja nicht mehr das Parlament die Gesetze in Frankreich, sondern Richter, fügte er an. Der Präsident von Le Pens Partei, der Europaparlamentarier Jordan Bardella, sprach von einem «Gewaltstreich der Richter», die mit der Zustimmung von Macron entschieden hätten. Die Migrationsfrage müsse dem Volk in einem Referendum unterbreitet werden.

Ihre Stimmen waren entscheidend bei der Verabschiedung des Gesetzes: Marine Le Pen, die Rivalin Macrons von der extremen Rechten.

Le Pen selbst fiel mit einer Mahnung an die Adresse der AfD auf, ihrer Alliierten in Europa. Sie distanzierte sich von deren geheimen Plänen einer «Remigration». «Wir», sagte Le Pen, «haben nie eine Politik der Remigration verteidigt, die beinhalten würde, Menschen die französische Staatsangehörigkeit zu entziehen, die sie erhalten haben, auch wenn wir die Bedingungen für deren Erhalt kritisieren.»

Man müsse über diese «grossen Meinungsverschiedenheiten» reden. Die sind allerdings neu: Bisher stimmten die Lepenisten im Europaparlament immer auf einer Linie mit der AfD.

Frankreich

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@OliverMeiler

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