July 27, 2024

Überall in Deutschland zeigen sich in diesen Tagen solche Bilder: Demo gegen rechts und die AFD am Samstag in Frankfurt am Main.

Die Proteste in Deutschland gegen rechts und für die Demokratie gewinnen deutlich an Zulauf: Am Samstag gingen allein in Frankfurt am Main und in Hannover nach Angaben von Polizei und Veranstaltern jeweils 35’000 Menschen auf die Strasse – ein Motto war «Demokratie verteidigen». Die Veranstaltung habe sehr schnell grossen Zulauf bekommen, sagte ein Polizeisprecher in Frankfurt. Auch in anderen Städten kamen Zehntausende Menschen für friedlichen Protest zusammen.

In Hannover rief Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Menschen bei der Kundgebung dazu auf, im eigenen Umfeld klare Kante gegen rechts zu zeigen und für Menschenrechte und Demokratie einzutreten. «Verteidigen wir unsere Demokratie», appellierte er. Die Demonstranten trugen Plakate mit der Aufschrift wie etwa «Wir sind bunt» oder «Faschismus ist keine Alternative».

In Kassel sprach die Polizei von 12’000 Teilnehmern – das waren zwölfmal so viele, wie erwartet worden waren. Teilnehmer trugen Plakate bei sich mit Aufschriften wie «Nazis und Antisemiten müssen ausgebürgert werden» und «Zusammen gegen Extremisten für Demokratie».

In Dortmund und Wuppertal schätzte die Polizei die Zahl der Teilnehmer auf jeweils etwa 7000. In Wuppertal stand die Demo unter dem Motto «Gemeinsam und solidarisch! Gegen Ausgrenzung, Hass und Hetze!». In Stuttgart versammelten sich laut Polizei Tausende Menschen unter dem Motto «Alle zusammen gegen die AfD». Schätzungsweise 20’000 waren es laut Polizei in Karlsruhe.

Aufstand gegen AFD

«Da kommt schon noch was», sagt der Kopf hinter den AfD-EnthüllungenAboChef des Recherchebüros Correctiv «Da kommt schon noch was», sagt der Kopf hinter den AfD-Enthüllungen

Die schweigende Mehrheit erwachtDeutschland und die AfDDie schweigende Mehrheit erwacht

Tausende Menschen gingen auch in Bayern auf die Strasse, darunter laut Polizei mindestens 10’000 in Nürnberg. In Erfurt waren es laut Polizei und Organisatoren mehrere Tausend Menschen. In Halle/Saale demonstrierten laut Polizei rund 16’000.

Bis zum Sonntagabend wurden noch Zehntausende Menschen bei Demonstrationen in ganz Deutschland erwartet.

Bereits am Freitagabend musste wegen des grossen Menschenandrangs eine Demonstration gegen rechts und die AfD in Hamburg abgebrochen werden. Einer der Organisatoren verwies auf Sicherheitsbedenken. Die Polizei sprach von 50’000 Teilnehmern, die Veranstalter sprachen von 80’000.

CDU-Chef Merz gegen jede Form von Hass und Hetze

Insbesondere Vertreter von Gewerkschaften, Verbänden, Grünen und SPD hatten dazu aufgerufen, sich zu beteiligen. CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete die Demonstrationen als ermutigend. «Die «schweigende» Mehrheit erhebt ihre Stimme und zeigt, dass sie in einem Land leben möchte, das weltoffen und frei ist», teilte er auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Samstagmorgen in Berlin mit. «Wir stehen an der Seite derer, die sich für unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat und unsere offene Gesellschaft einsetzen», sagte Merz. «Lassen wir gemeinsam keine diskriminierenden Sprüche oder rechtsextreme Parolen zu. Wir zeigen gemeinsam ein Stoppschild gegen jede Form von Extremismus und Rassismus: Gegen jede Form von Hass, gegen Hetze und gegen Geschichtsvergessenheit.»

NNW-Ministerpräsident dankt Demonstranten

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dankte den Zehntausenden Menschen, die deutschlandweit gegen rechts demonstrierten. Das zeige, dass es in der Mitte der Gesellschaft «eine breite Allianz» gebe, sagte er am Samstag in Düsseldorf. Wüst forderte erneut eine solche «Allianz der Mitte» auch in der Politik, die sich parteiübergreifend und über alle staatlichen Ebenen hinweg bilden müsse. «Wir brauchen einen Schulterschluss der Demokraten.» Wüst bezeichnete die AfD als «brandgefährliche Nazi-Partei». Auf X, ehemals Twitter, schrieb der CDU-Politiker, die AfD stehe nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. «Die AfD ist keine konservative Partei und erst recht keine wertorientierte Partei.»

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüsste die Kundgebungen. «Ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht», sagte Schuster der «Augsburger Allgemeinen» (Samstag). Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte der «Westdeutschen Zeitung» (Samstag): «Es wäre wünschenswert, wenn die schweigende Mehrheit unserer Bevölkerung klar gegen Extremismus und Antisemitismus Position beziehen würde. Und erfreulicherweise demonstrieren aktuell viele Menschen dagegen.»

Berichterstattung über Treffen Rechtsradikaler als Auslöser

Auslöser der seit mehreren Tagen andauernden Proteste ist ein Bericht des Medienhauses Correctiv aus der vergangenen Woche über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen in einer Potsdamer Villa vom 25. November. An dem Treffen hatten auch mehrere AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen.

Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte in Potsdam nach eigenen Angaben über «Remigration» gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine grosse Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Innenministerin sieht sich an historische Konferenz erinnert

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) fühlt sich durch das Treffen in Potsdam an die Wannseekonferenz der Nationalsozialisten erinnert. «Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz», sagte sie der Funke Mediengruppe (Samstag). Sie wolle beides nicht miteinander gleichsetzen. «Aber was hinter harmlos klingenden Begriffen wie «Remigration» versteckt wird, ist die Vorstellung, Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Haltung massenhaft zu vertreiben und zu deportieren.»

Bei der Wannseekonferenz hatten am 20. Januar 1942 – vor genau 82 Jahren – hohe NS-Funktionäre über die systematische Ermordung von bis zu elf Millionen Juden Europas beraten. Ziel der Besprechung in einer Villa am Berliner Wannsee war es, die Umsetzung des Völkermords zu beschleunigen. Sie gilt als eines der Schlüsseldaten des Holocaust.

@matthiaschapman

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