September 7, 2024

Am Mittwoch wollen die Milei-Gegner wieder auf die Strasse gehen. Im Bild eine Demo vom 10. Januar in Buenos Aires. Der Spruch «No a la Junta Mileitar» ist ein Wortspiel aus «Milei» und «Junta Militar» (Militärjunta).

Eigentlich ist der Januar in Argentinien ein ruhiger Monat: Hochsommer auf der Südhalbkugel, dazu Ferienzeit. Schulen haben geschlossen, ebenso wie viele Unternehmen. Selbst Gerichte und auch der Kongress sind in der Sommerpause. Eigentlich.

Denn dieses Jahr ist alles anders, und das liegt vor allem an einem Mann: Javier Milei. Vor gerade einmal mehr als einem Monat hat der rechtslibertäre Politiker sein Amt als neuer Präsident von Argentinien angetreten. Seitdem arbeiten er und seine neue Regierung eine Radikalkur für das südamerikanische Land aus.

Höchste Note ist zwei Franken wert

Tatsächlich ist die Lage dramatisch: Die Staatskassen sind leer, gleichzeitig steht Argentinien bei privaten Gläubigern und internationalen Institutionen mit über 400 Milliarden Dollar in der Kreide. Allein im Dezember lag die Inflation bei 25 Prozent, und der höchste Geldschein im Land, die 2000-Peso-Note, ist umgerechnet nur noch knapp über zwei Franken wert.

Argentiniens neuer Präsident Javier Milei glaubt, die Wurzel all dieser Probleme liege im chronischen Haushaltsdefizit. Damit soll nun Schluss sein: «No hay plata», sagt Milei, es gibt kein Geld. Unmittelbar nach dem Amtsantritt am 10. Dezember hat die neue Regierung darum Subventionen gestrichen und die Währung abgewertet. Staatsfirmen sollen verkauft werden, und alle öffentlichen Bauaufträge liegen auf Eis.

Markt statt Staat: Der argentinische Präsident Javier Milei will Argentinien radikal umbauen.

Dazu will Milei Argentinien aber auch im Sinne seiner libertären Ideen umgestalten, das heisst: Markt statt Staat. Per Dekret wurde das Mietrecht entschärft und das Arbeitsrecht flexibilisiert: Die Probezeit wurde von drei auf acht Monate verlängert, der Anspruch auf Abfindungen bei Entlassung gekürzt, das Streikrecht eingeschränkt.

Mittlerweile hat die neue argentinische Regierung sogar noch einmal nachgelegt: Ende Dezember schickte sie ein gigantisches Gesetzespaket an den Kongress, mehr als 300 Seiten lang, von Kleidungsvorschriften für Richter über die Einführung von Studiengebühren für ausländische Studenten, die Einschränkung des Versammlungsrechts und massive Einsparungen bei Kultur- und Bildungsprogrammen bis hin zu einer Reform des Wahlrechts und der Ausrufung eines «öffentlichen Notstandes», wodurch die Regierung weitreichende Befugnisse hätte.

Viele wollen erst mal abwarten

Vor allem der letzte Punkt hat für starke Kritik gesorgt – und dennoch: Breiter Protest blieb bislang aus. Mileis Rückhalt in der Bevölkerung ist noch gross: Gerade einmal zwei Monate ist es her, dass der 53-jährige exzentrische Ökonom die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen hat, mit 56 Prozent der Stimmen. Nun, rund einen Monat nach Amtsantritt, scheinen viele in Argentinien erst mal abwarten zu wollen, was die neue Regierung bringt.

Diese bemüht sich, erste Erfolge zu präsentieren: Die Inflation im Dezember sei zum Beispiel mit rund 25 Prozent nicht so schlimm wie von einigen Experten vorausgesagt. «Alles unter 30 Prozent ist ein Erfolg», sagt Milei. Dazu habe man sich mit dem Internationalen Währungsfonds auf die Fortführung eines Kreditprogramms geeinigt.

Elon Musk ist begeistert

Ohnehin: Der Rückhalt im Ausland sei gross, betont Mileis Team immer wieder. Die erste Auslandsreise zum Beispiel führte Argentiniens neuen Präsidenten zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Auf dem Treffen warnte Milei dann auf der Bühne vor dem Sozialismus, aber auch vor angeblich radikalen Feministinnen und manipulierenden Massenmedien. Im Saal führte das zu Kopfschütteln, im Netz aber zu Beifallsstürmen von Fans, unter ihnen auch Tesla-Gründer Elon Musk (lesen Sie hier den ausführlichen Bericht zu Mileis Davos-Rede).

Gleichzeitig aber wächst auch der Widerstand. Argentinische Gerichte haben schon einen Teil des Dekrets von Milei wieder rückgängig gemacht, und auch Teile des Gesetzespakets mussten von der neuen Regierung verändert werden: Sie hat im Parlament keine eigene Mehrheit und ist auf die Unterstützung vom bürgerlichen Lager und sogar von Teilen der peronistischen Opposition angewiesen. Doch dort erwartet man Gegenleistungen. Bei den Privatisierungen musste Milei schon teilweise zurückrudern, ebenso wie bei der Dauer der Sonderbefugnisse.

Dazu wächst auch der Druck auf der Strasse: Für Mittwoch hat der mächtige Gewerkschaftsbund CGT zu einem Generalstreik aufgerufen. Sechs Millionen Mitglieder hat er, und schon in der Vergangenheit haben sie bewiesen, dass sie das Land lahmlegen können. Allerdings stehen die Gewerkschaften in Argentinien auch im Ruf, mafiös zu sein und weniger für die Rechte der Arbeiter zu kämpfen als um eigene Pfründe. Dazu ist ohnehin Ferienzeit.

Die grosse Frage ist darum, was passiert, wenn die Feriensaison vorbei ist. Wenn auf der Heimfahrt von den Ferienorten die Preisanzeige an den Zapfsäulen immer höher klettert; wenn im Briefkasten die ersten Strom- und Gasrechnungen ohne Subventionen liegen und das Weihnachtsgeld aufgebraucht ist, das es gemäss Gesetz im Dezember zuzüglich zum Gehalt gibt. Gut möglich, dass auf den Sommer in Argentinien dann ein heisser Herbst folgt.

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