July 27, 2024

Gesucht: Wolodymyr Mamon.

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Wolodymyr Muchowaty sitzt auf der Bank vor seinem Haus im ukrainischen Dorf Hrosa und schaut in den Himmel. Seine blauen Augen sind voller Tränen, als er über seine Frau und seinen Sohn spricht, die bei einem russischen Angriff vor einem halben Jahr getötet wurden. Sein Herz aber ist voller Wut auf die beiden Nachbarn, die Russland die Koordinaten für den Beschuss verraten haben sollen. «Wie viele Menschen habt ihr ins Grab geschickt? Wofür? Ihr verdammten Idioten», sagt Muchowaty.

Es war einer der verheerendsten Angriffe im Krieg Russlands gegen die Ukraine: 59 Menschen tötete die russische Rakete am 5. Oktober in Hrosa, einem 300-Seelen-Dorf in der nordöstlichen Region Charkiw. Ein halbes Jahr später ist der Ort von Trauer gezeichnet. Zum Schmerz über den Verlust von Freunden und Verwandten kommt das Misstrauen gegen die Dorfbewohner, die als pro-russisch gelten. Zu Beginn der Invasion hatte die russische Armee Hrosa besetzt, bis die Ukraine das Dorf im September 2022 zurückeroberte. 

Die Behörden in Hrosa beschuldigen die Brüder Wolodymyr und Dmytro Mamon, das Anschlagsziel für Moskau ausgekundschaftet zu haben. «Sie waren unsere Nachbarn, mein ältester Sohn ging mit einem von ihnen zur Schule, sie waren unzertrennlich», sagt Muchowaty über die beiden.

Die Brüder werden wohl nie in der Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden, sie sind längst nach Russland geflohen. An einer Bushaltestelle hängt ein Transparent mit einem Bild von Wolodymyr Mamon. «Die Mörder haben Namen. Sie töteten 59 Dorfbewohner für russisches Geld», steht darauf.

Gleich hinter der Bushaltestelle liegt der Friedhof mit Dutzenden frisch geschmückten Gräbern. Auf allen steht das gleiche Todesdatum: 05.10.2023. Die Rakete hatte eine Gruppe von Menschen getroffen, die sich zur Trauerfeier für einen im Krieg gefallenen Soldaten aus dem Dorf in einem Café an der Hauptstrasse versammelt hatten. Das Fundament des Cafés ist kaum mehr zu erkennen. Hier soll eine Gedenkstätte entstehen. Der Kinderspielplatz daneben wird bleiben. Die halb zerstörten Schaukeln schwingen leise im Wind.

Der Friedhof von Hrosa.

Unter den 59 Toten ist auch der achtjährige Iwan. Er war der Enkel von Valentina Kosyr, einer Tante des Soldaten. Sie verlor bei dem Angriff auch ihren Mann Anatoly, ihren Sohn Igor und ihre Tochter Olga. «Die ganze Familie ist tot. Es gibt niemanden mehr, nur mich und einen Enkel», sagt sie.

Kosyr kommt nur noch selten zurück ins Dorf, zu sehr schmerzt die Erinnerung. Das Wohnzimmer ihres Hauses gleicht einem Schrein zum Gedenken an die Toten. «Ich weine und arbeite im Garten», sagt Kosyr. Dort blühen jetzt Blumen, die noch von ihre Tochter gepflanzt worden waren.

Valentina Kosyr

Kosyr verdächtigt manche Dorfbewohner, sich wieder auf die Seite Moskaus zu schlagen, sollten die nur 35 Kilometer entfernten Truppen die Ortschaft erneut erobern. «Jetzt haben sie ukrainische Flaggen zu Hause. Aber wenn etwas schiefläuft, werden sie sie herunterreissen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen», sagt sie.

Auch Olga Donzowa hält einige Nachbarn für Kollaborateure. Die 40-Jährige sitzt vor ihrem Lebensmittelladen, dem einzigen, den es im Dorf noch gibt. Ein Kunde habe ihr direkt gesagt, dass er nur darauf warte, dass die Russen zurückkommen, erzählt sie.

Der getroffene Spielplatz.

Die Frühlingssonne scheint über Hrosa, Vögel zwitschern, ansonsten herrscht Stille. Früher war das anders. Da habe sich das ganze Dorf am Wochenende getroffen, sagt Donzowa. «Wir machten Feuer, brieten Würstchen und spielten Ball», erinnert sie sich. «Aber jetzt sitzt jeder nur noch in seinem eigenen Haus, denn wir zusammenkommen, erinnern wir uns an alle Toten und alles lastet noch schwerer auf der Seele», sagt Donzowa, die bei dem Angriff unter anderem ihre beste Freundin Alina verloren hat.

Wolodymyr Muchowaty kann auch nach sechs Monaten nicht glauben, dass seine Frau Tanja tot ist. «Nachts höre ich, wie sie mich ruft: ‹Wowa, Wowa'", erzählt er. «Ich wache auf und renne sofort im Haus herum, weil ich denke, dass sie vielleicht zurückgekommen ist. Aber nein, sie ist nicht da.»

AFP/aeg

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