September 8, 2024

Vorwürfe gegen andere: FPÖ-Chef Herbert Kickl vor dem Untersuchungsausschuss zum «Rot-Blauen-Machtmissbrauch».

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Herbert Kickl sitzt am Donnerstagnachmittag lässig auf seinem schwarzen Sessel vor den Abgeordneten, den linken Arm über die breite Lehne gehängt, als langweile er sich schon, bevor die Befragung begonnen hat. Sein blütenweisses Hemd strahlt um die Wette mit seinen Zähnen, die er regelmässig bleckt, bevor er sich für eine längere Antwort kurz aufsetzt. Der FPÖ-Chef soll vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum «Rot-Blauen-Machtmissbrauch» Auskunft geben – und tut das ausführlich, wenn sich die Gelegenheit bietet, Vorwürfe gegen andere zu richten oder aber sein Gegenüber lächerlich zu machen.

Der von der Regierungspartei ÖVP initiierte Ausschuss sollte im Wahljahr 2024 dazu dienen, von Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP abzulenken und den Fokus auf die politische Konkurrenz von SPÖ und FPÖ zu richten. Aber nun ist der grösste Spionageskandal der Zweiten Republik dazwischengekommen, internationale Beobachter sprechen bereits von einem «Staatsversagen», weil es so lange nicht gelungen sei, eine Spionagezelle in Wien mit prominenten Protagonisten und vielen Zuarbeitern zu enttarnen.

Und so wird FPÖ-Chef Kickl, der eigentlich zu seiner Zeit als Innenminister zwischen 2017 und 2019 aussagen sollte, vor allem dazu befragt: Was hat er gewusst, hat er etwa gemeinsame Sache gemacht mit den Russenfreunden um Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek?

Nachrichtenbörse für die in Wien tätigen Agenten

Immerhin hat die FPÖ einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei Einiges Russland; die damalige FPÖ-nahe Aussenministerin Karin Kneissl lebt mittlerweile in St. Petersburg, und die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft, in der sich zahlreiche Rechtspopulisten tummelten, gilt als Nachrichtenbörse für die in Wien tätigen Agenten.

«Ein Problemfall»: Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott.

Zur Kernfrage, dem russischen Spionagering und seinem fleissigsten Agenten Egisto Ott, äussert sich Kickl nur wenig. «Ich wusste nicht, dass Egisto Ott ein Problemfall ist.» Niemand, auch nicht der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, habe ihn darüber informiert, dass es einen massiven Verdacht gebe. Und «ich laufe ja nicht als Minister durchs Haus und frage, ob irgendetwas angefallen ist».

Zuvor hatte Verfahrensrichterin Christa Edwards den Ex-Innenminister, der auch zuständig für Spionageabwehr war, zu Ott befragt. Zu dem Mann also, der als ehemaliger BVT-Mitarbeiter seit Ostern in Untersuchungshaft sitzt. Er soll geheime Daten über den mutmasslichen russischen Spion Jan Marsalek an Russland geliefert, bei der Ausforschung russischer Regimegegner geholfen und Informationen aus dem österreichischen Geheimdienst an Dritte weiterverkauft haben.

Amtsmissbrauch und Geheimnisverrat

Ott war 2017 nach Hinweisen ausländischer Geheimdienste zum ersten Mal suspendiert worden, hatte sich aber vor Gericht erfolgreich gegen seine Suspendierung gewehrt. Der Justiz fehlten, ausweislich ihres letztinstanzlichen Urteils, ausreichende Beweise dafür, dass der Kärntner Geheimdienstler Amtsmissbrauch und Geheimnisverrat begangen hatte. Allerdings stünde einer erneuten Suspendierung, so zitiert die Verfahrensrichterin aus dem entsprechenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, nichts entgegen, wenn mehr Beweise nachgeliefert würden.

Dazu kam es offenbar sehr lange Zeit nicht. Ott wurde nach einer kurzen, ersten Untersuchungshaft freigelassen. Er machte, auch nachdem er versetzt worden war, ungehindert weiter und fragte mehr als 200-mal Daten zu Personen ab – es fiel niemandem auf. Auch eine zweite Suspendierung Jahre später hielt nicht. Trotz jahrelanger Ermittlungen einer Sondereinheit des Bundeskriminalamts brauchte es den britischen Geheimdienst, um die Wiener mit dem Kopf darauf zu stossen: Da ist etwas faul im Staate Österreich.

Kickl weist jede Verantwortung von sich

Dabei zieht sich die Liste der Tatvorwürfe im Haftbefehl gegen Ott, der dieser Redaktion vorliegt, über viele Seiten. Im Mittelpunkt steht der «Komplex Russland» und die in trockenem Juristendeutsch abgefasste Einschätzung der Ermittler: «Chefinspektor Egisto Ott wusste zu jedem Zeitpunkt, dass er als österreichischer Polizeibeamter (…) durch sein Handeln seine ihm eingeräumte hoheitliche Befugnis zur Führung eines Amtsgeschäftes missbrauchte, und wollte dies auch.»

Der Untersuchungsausschuss zum «Rot-Blauen-Machtmissbrauch» zieht sich am Donnerstag bis in den späten Abend. Kickl weist jede Verantwortung für den Spionageskandal von sich, er habe «keine russischen Spione ins Haus gelassen, oder glauben Sie, Marsalek hat ein Schild umgehängt gehabt: Russischer Spion?» Nein, 98 Prozent der Verantwortung für diese Misere lägen bei der ÖVP.

Womit die politische Gefechtslage für die kommenden Monate beschrieben wäre: Jeder gegen jeden, und die Aufklärung bleibt auf der Strecke. SPÖ-Chef Andreas Babler nennt Österreich im ORF «russisch infiltriert» und die aktuellen Versuche der Aufklärung, wie es so weit kommen konnte, «reine Showprogramme».

ÖVP schiesst gegen Kickl, nicht aber gegen die FPÖ

Die Neos, die gern in der nächsten Regierung sitzen würden, poltern, ÖVP und Grüne könnten es sich nicht länger leisten, «russischen Spionen quasi freie Hand in Österreich zu lassen». Die ÖVP, die gegen Kickl, aber nicht gegen die FPÖ als Ganzes schiesst, beschuldigt den FPÖ-Chef des Landesverrats, während sich der amtierende ÖVP-Innenminister Gerhard Karner damit herausredet, man habe sehr intensiv ermittelt, aber die Justiz, die von einer grünen Ministerin geführt wird, habe leider nicht konsequent genug reagiert.

Egisto Ott erzählt derweil in der Untersuchungshaft, er sei gar kein Spion. Sondern eine Art investigativer Journalist. «Wir decken, egal wo, einfach Schweinereien meistens mit nachrichtendienstlichem Hintergrund auf. Egal, welcher Dienst oder welche Operation, von Ost bis West, also weltumspannend», zitiert der «Standard» aus Otts Vernehmung. Eine Abgeordnete im Untersuchungsausschuss stöhnt ob all dessen: «Kannste dir nicht ausdenken.»

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