September 7, 2024

«Ich bin eher sehr nett, lustig und leutselig»: Vincent Bolloré bei seiner Anhörung in der Nationalversammlung.

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Zwei Dutzend Fotografen drängen sich, um diesen Moment festzuhalten. «Oulala», sagt Vincent Bolloré. Als wäre er überrascht über die Aufregung, die er da auslöst bei seiner Ankunft im französischen Parlament, über den grossen Klamauk um seine Person. Seine öffentlichen Auftritte sind so selten, dass ihn eine Aura umweht, unheimlich und mysteriös, jetzt mehr denn je.

Der bretonische Grossindustrielle und Medienunternehmer, 71 Jahre alt, siebtreichster Franzose, pflügt gerade grobmotorisch die Medienlandschaft des Landes um mit seinen Fernsehsendern aus der Gruppe Canal+, dem Radiosender Europe1, den Wochenblättern «Journal du Dimanche» und «Paris Match».

Die düstere Welt auf Bollorés Sendern

Wenn nicht alles täuscht, wähnt sich der konservative Katholik auf einer politischen Mission – zur Errettung des Vaterlandes. Darum geht es bei diesem Termin in der Nationalversammlung: Er soll sich mal erklären, seine Absichten, seine Sicht auf die Welt, sein politisches Credo.

Eine Untersuchungskommission prüft die Frage, ob Bollorés erfolgreiche und laute Nachrichtensender C8 und CNews die Auflagen erfüllen, die sie in einer Konvention mit dem Staat unterzeichnet haben. Berichten sie wahrhaftig? Und stellen sie in ihren Sendungen das ganze Spektrum der Meinungen dar? Beides ist doch höchst fraglich.

Immer laut, immer polemisch: Eine Talkrunde auf CNews zum Tod eines 16-jährigen Jungen bei einem Dorffest in Crépol in der Drôme.

Auf CNews und C8, die es zusammen auf etwa acht Prozent Marktanteil bringen, wird vor allem getalkt, Tag und Nacht, immer in dieselbe politische Richtung. Frankreich wird dargestellt, als drifte es ab ins Chaos, als verliere es die Kontrolle über seine Grenzen, seine Banlieues, seine Staatsfinanzen, als verliere es seine Identität.

Und wer dagegen anredet, wird übertönt von den Meinungsmachern der Sender, die in den Studios immer in der Mehrheit sind. Das ist das Konzept. Eine grüne Abgeordnete beschrieb es jüngst als «Trumpisierung». Auf Bollorés Sendern sind Fakten verhandel- und verformbar: Sie sollen möglichst in ihre Deutungsschablonen passen. Die Linke nennt es «Propaganda».

Die Sendelizenzen stehen auf dem Spiel

Im Sommer oder im Herbst soll dann die unabhängige Aufsichtsbehörde Arcom entscheiden, ob C8 und CNews eine neue Lizenz bekommen. Dreizehn andere Kanäle werden auch untersucht. Aber alles schaut auf das Medienimperium Bollorés, das so oft gerügt und gebüsst wird für Verstösse gegen die hehren Prinzipien wie kein anderes und sich mit ganzer Wucht in den Dienst der reaktionären, extremen Rechten gestellt zu haben scheint.

Viel Aufregung, viel Klamauk: Die Fotografen drängen sich um ein seltenes Bild von Vincent Bolloré im Sitzungssaal im Parlament.

Bolloré sitzt nun also im grauen, dreiteiligen Anzug in einem nüchternen Konferenzsaal, umschart von Abgeordneten. Vor dem Reden muss er auf einen Knopf vor seinem Mikrofon drücken. Das Parlament überträgt live, jeder Franzose kann sich das anschauen, zwei Stunden lang. Bolloré ist auffällig gelassen, obschon er ja schon gerne wüsste, was das alles mit ihm zu tun habe. «Ich trage keine Verantwortung mehr», sagt er zu Beginn, die operative Leitung seines Konzerns habe er abgegeben, «ich mische mich nicht ein». Seine Journalisten? «Total frei natürlich.»

Das ist Bollorés Argumentationslinie, als stünde er grundlos vor Gericht. Einer seiner Senderchefs nannte es neulich «einen stalinistischen Prozess», den man ihnen mache. Das sei nicht angenehm, sagt Bolloré, man beschreibe ihn als Unhold, «als Attila», den schrecklichen Hunnen. Er sei der Sündenbock, der Blitzableiter. «Dabei bin ich eher sehr nett, lustig und leutselig.»

Ein «surrealer» Auftritt, schreibt «Le Point»

Wo er politisch stehe, fragt ihn ein Abgeordneter. «Ich bin ein Christdemokrat», sagt Bolloré – freiheitsliebend, alle sollten glauben dürfen, was sie wollten. Er habe auch «viele muslimische Freunde». Bolloré widerspricht sich während seiner Anhörung ständig, einmal sagt er: «Ich bringe auf meinen Antennen nichts, woran ich nicht glaube.»

Mischt er sich nun ein oder nicht? Sein Senderchef von CNews erzählte jüngst, Bolloré rufe ihn jeden Tag an. Bolloré wiederum beteuert, er rufe nur an, wenn CNews (lesen Sie hier über die journalistischen Methoden bei CNews) mal wieder gute Quoten gehabt habe, das dauere dann nur zehn Sekunden. Nun ja. Das Nachrichtenmagazin «Le Point» schreibt, der Auftritt sei «surreal» gewesen.

600 Sendestunden pro Jahr: Pascal Praud, der Superstar der «Bollosphäre».

Bolloré hat jetzt alle seine Medientitel auch geografisch zusammengefasst, am Pariser Hauptsitz von Canal+. Das erleichtert die Regie, die Abstimmung des Apparats, es verkürzt die Wege. Die Stars von CNews moderieren nämlich auch Sendungen auf Europe1 und schreiben Kolumnen in der Sonntagszeitung «Journal du Dimanche» oder führen Interviews für «Paris Match».

Pascal Praud, der Superstar, früher Sportreporter, ist mittlerweile so präsent, dass es ihm offenbar an der Zeit zum Rasieren mangelt: 600 Stunden Sendezeit pro Jahr, das ist eine Menge. Immer polemisch, immer dieselbe Stossrichtung, oft mit Dreitagebart. Im Herbst brachte er sogar das überhypte Thema der Bettwanzen mal schnell in einen Zusammenhang mit der «unkontrollierten Immigration».

Sie bestimmen die politische Agenda

Die «Bollosphäre», wie kritische Medien die Strahlkraft Bollorés nennen, ist zur grossen Echokammer geworden, sie wird verstärkt durch die sozialen Medien. Nicht selten bestimmen Praud & Co. so die politische Agenda im Land.

Marine Le Pen und Éric Zemmour, die rivalisierenden Führungsfiguren der extremen Rechten, brauchen nur mitzuschwimmen auf der entfesselten Welle. Früher stand Bolloré Zemmour näher als Le Pen. Zemmour hatte eine Sendung auf CNews, und sie beklagte sich öffentlich über eine bevorzugte Behandlung. Nun aber, liest man in der Zeitung «Le Monde», sollen sich Bolloré und Le Pen gefunden haben, selbe Mission. Das ist nicht unwesentlich. Für die nächste französische Präsidentenwahl 2027 kann das sogar ziemlich zentral sein.

Frankreichs Medien

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@OliverMeiler

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